Lexika: Brockhaus in der Schieflage

Die traditionsreiche Adresse für gute Nachschlagewerke streicht die Segel vor dem Internet. Der gesamte Markt ist in Bewegung.

Düsseldorf. Es ist nun rund 250 Jahre her, dass die berühmten Franzosen Denis Diderot und Jean Baptiste Le Rond d’Alembert die ersten enzyklopädisch angelegten Bände herausgaben, die das Wissen der Zeit sammelten. Ihre Arbeit wurde wegweisend und beflügelte alle danach entstandenen ähnlichen Lexika, den Brockhaus (ab 1809), den Pierer (seit 1822), Meyers (1839) und den Herder (1854). Nun kapituliert ausgerechnet der hoch angesehene Brockhaus, der auf der Buchmesse 2005 noch seinen 21. "Großen Brockhaus" in 30 Bänden mit Goldschnitt und Leineneinband vorstellte. Das Flaggschiff des lexikalisch gespeicherten Wissens gibt auf. Der Sprecher des Mannheimer Unternehmens, Klaus Holoch, nennt es denn auch einen "Paradigmenwechsel", wenn das traditionsreiche Haus sein Wissen künftig nicht mehr als Printausgabe, sondern online zur Verfügung stellt. Zu gering ist das Käuferinteresse angesichts stetig steigender Kosten durch immer aufwendigere Ausstattung etwa mit Vierfarbdruck sowie Tausenden von Grafiken und Karten. Ab 15. April sollen Brockhaus-Informationen werbefinanziert, doch für den Nutzer kostenfrei im Netz erhältlich sein.

Gutenberg verliert gegenüber elektronischer Schnelligkeit

Während in der Mannheimer Redaktion 50 von 250 Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz verlieren werden, sollen künftig 60 Fachkräfte im Leipziger Verlagshaus das Online-Angebot aufbereiten und aktualisieren - anders als bei der quasi basisdemokratisch funktionierenden Suchmaschine Wikipedia mit ihren Millionen Laien-Mitarbeitern. Galt Verlässlichkeit einer wissenschaftlich fundierten Recherche bei Brockhaus oder der Encyclopedia Britannica als unschlagbar, hat dieses Renommee doch Risse bekommen. Denn elektronische Daten können sekundenschnell aktualisiert werden. Da sind Gutenbergs gute alte Schinken zwar würdevoll, aber für unsere Zeiten zu behäbig. Brockhaus hat auf die Entwickung spät, aber nicht zu spät reagiert und plant angeblich eine Zusammenarbeit mit der Wochenzeitung "Die Zeit". Bertelsmann wiederum kooperiert unter wissen.spiegel.de mit dem "Spiegel"-Online-Portal, bleibt aber zugleich bei der Print-Version der 15-bändigen "Lexikothek". In Mannheim steht vorläufig nur fest, dass so erfolgreiche Titel wie Duden und Themenlexika wie "Brockhaus Kochkunst" oder "Brockhaus Wein" weiterhin gedruckt werden. Tröstlich, dass seit Bekanntwerden der Nachricht etliche Brockhaus-Fans in ihren Buchhandlungen vorstellig geworden sind - und die 21. Auflage geordert haben. Denn noch gibt es sie. Skeptisch bleiben
Kommentar von Sophia Willems
Nein, es ist noch nicht der Gau, der Untergang des Abendlandes und seiner Kultur, wenn das berühmteste gedruckte Format aus zweihundert Jahren Bildungsbürgertum verschwindet. Aber das Unbehagen an dieser Erosion lässt sich nicht verleugnen. Das Lexikon gehörte einfach nicht nur ins Regal, sondern regelmäßig in die Hand. Als Kind habe ich den Brockhaus meines Vaters nicht nur nach Rat befragt, sondern konnte stundenlang darin lesen: Atemberaubend, was es alles gab! Ich wage zu bezweifeln, ob Menschen, die tagein, tagaus an PCs oder automatischen Geräten arbeiten, zu Hause dann noch einmal in elektronischen Lexika nachschlagen wollen. Nicht jede Entwicklung der Vergangenheit wies in die richtige Richtung. Auch um den Preis, als altmodisch beschimpft zu werden: Ich bleibe da eher skeptisch. sophia.willems@wz-plus.de