Martin Walser wird 80: Der Windmühlenflügel-Kampf
Jubiliar: Am Samstag wird Autor Martin Walser, Meister vom Bodensee, 80 Jahre alt.
Düsseldorf. Wenn eine Frau mit zu knallig-nassem Lipgloss, in zu enger Bluse und zu kurzem Rock, zu gewagten Netzstrümpfen und auf zu hohen Pumps durch einen Roman stöckelt, dann ist er mit Sicherheit von Martin Walser. Und der Autor dürfte dem Objekt seines Interesses mit ebenso großer Gewissheit neidvoll nachschauen wie mancher seiner Leser.
Zumindest verhält es sich so mit Walsers dauerdeprimierten Helden, dem erfolglosen, über die Länge einer Trilogie scheiternden Anselm Kristlein - hinter einem solchen Namen kann sich ja auch nur ein Versagerlein verbergen! - oder dem trostlosen Studienrat Helmut Halm. Oder Xaver Zürn, der hineingepresst ist in ein hoffnungslos erniedrigendes Herr-Knecht-Verhältnis.
Dennoch ist eines seltsam: Wenn Kristlein die schöne Selbsterkenntnis von sich gibt: "Ich bin Don Quixote, nachdem er gelesen hat, was Cervantes über ihn schrieb", müssen wir lachen. Wie wir uns überhaupt köstlich amüsieren über Walsers viele Helden von der traurigen Gestalt, vom Chauffeur bis zum Professor.
Der Roman "Brandung" und die Novelle "Ein fliehendes Pferd" begründeten den Ruhm des heute vor 80 Jahren am Bodensee geborenen und dort auch lebenden Dichters. Mehrere seiner Texte wurden verfilmt oder gelangten auf die Theaterbühnen. Er ist der Meister der süffisanten, geschliffenen Bestandsaufnahme bundesdeutscher Mittelstandsmentalität sowie der Analyse seelischen Verzweifelns. Walsers Scheiternde kapitulieren nicht an ihrem Umfeld, sondern an der Unfähigkeit, sich daraus zu erlösen. Sie stürmen nicht, wie das fliehende Pferd, in die Freiheit, sondern lassen sich demütig wieder ins Geschirr nehmen.
Man musste es nicht immer goutieren, niemand ist dauerhaft auf Erfolg abonniert, dennoch steht fest: Walser hat uns von Jahr zu Jahr mit immer neuen Perlen seiner Sprach- und Erzählkunst erfreut. Er hätte nicht fehlen dürfen in einer Zeit, in der ein Günter Grass hauptsächlich SPD-Wahlkämpfe führte. Jetzt hat Martin Walser uns überdies mit 39 kurzen Balladen beschenkt, ("Das geschundene Tier", o.S., Rowohlt, Leinen, 16,90 Euro), ergänzt um filigrane Ölzeichnungen seiner Tochter Alissa. Es sind zauberhafte Verse und zugleich erschreckende Visionen, die von Düsternis und Dunkelheit, Sehnsucht und Scham berichten. Da heißt es etwa: "Würf ich jetzt ein Blatt ins Wasser, / spränge drauf, es trüge mich, ich / schwämme davon. So aber geh ich / unter auf dem festen Land." Die Zeichnungen illustrieren dabei nicht, sie suchen das Atmosphärische.
Am Geburtstag vor einem Jahr notierte er in sein Tagebuch: "Die Wörter wohnen in mir. Ich wohne in der Wüste. Die Wüste wohnt in den Wörtern." Es bleibt wohl sein ewiger Quixote-Kampf, sie daraus zu vertreiben.