Nicht jedes Foto gelingt: „Magnum Contact Sheets“
München (dpa) - Manche Bilder bleiben im Gedächtnis. Der Schweizer René Burri fotografierte Ernesto „Che“ Guevara mit Zigarre und siegessicherem Blick. Was der Betrachter nicht sieht, aber mit Recht vermutet: Nicht alle 36 Negative des 1963 belichteten Schwarzweiß-Films sind so gelungen.
Mal ist der Hintergrund zu unruhig, mal die Gesten des Revolutionärs langweilig, mal dessen Blick nichtssagend. Das verrät der Kontaktabzug aus dem Archiv der Fotoagentur Magnum. Sie hat ihre Schubladen geöffnet und zeigt, wie viele Belichtungen mitunter nötig sind, um eine Situation oder einen Menschen in einem gelungenen Bild zu erfassen.
Der Deutsche Fotograf Thomas Hoepker ist unter anderem für sein Bild von der Faust des Boxers Muhammad Ali bekannt. Auch hier zeigt der Kontaktbogen allerlei unwichtige Negative. Mal ist ein Stativ zu sehen, mal gar nichts, mal eine gnadenlos überbelichtete Gestalt. Und irgendwann dann die harte Faust mit dem dahinter verschwimmenden Boxer. In einem Interview im Jahr 2003 beschrieb Hoepker der Nachrichtenagentur dpa am Beispiel des Magnum-Mitbegründers Henri-Cartier Bresson (1908-2004) die Bedeutung von Kontaktbögen:
„Er (Cartier-Bresson) ist, wie wir alle, ein Vielfotografierer, der von einem Ereignis oft Hunderte von Bildern gemacht hat. So pirscht er sich von allen Seiten ans Motiv heran, er arbeitet ein bisschen wie ein Maler, der erst viele Skizzen macht und so zum richtigen Bild findet. Zu dieser Methode gehört es naturgemäß, dass man auch schlechte Bilder macht. Ein wichtiger Teil der Arbeit geschieht zu Hause beim Sichten der Kontaktabzüge, wo er dann das perfekte Bild heraussucht. Die anderen Negative verschwinden im Archiv und dürfen von niemandem betrachtet werden, da ist er sehr strikt. Henri hat mal einen Freund dabei erwischt, wie der seine Kontaktbögen im Archiv betrachtete, und rief dann: ,Nein, nein, tu' das nicht, ich will nicht, dass mir jemand zusieht, wie ich Pipi mache!'“. Dennoch sind nun auch von Cartier-Bresson Kontaktabzüge zu sehen.
Sie entstehen, wenn die Negativstreifen direkt aufs Fotopapier gelegt, mit einer Glasscheibe beschwert und belichtet werden. Mit rotem Fettstift markiert der Fotograf dann später jenen Ausschnitt, den er vom Laboranten abgezogen haben will. Kontakte sind für Fotografen so etwas wie eine Vorstudie für den Maler. Manche Fotografen lassen Kontaktabzüge über Monate ruhen, bis sie ihre Auswahl treffen, andere korrigieren sich darauf immer wieder selbst.
Mit dem Buch wird der Betrachter zum Zeugen dieser Auswahl. Der Kontaktabzug ist ebenso zu sehen wie das daraus erwählte und in der Dunkelkammer ausgearbeitete Bild. Die 139 Kontaktbögen von 69 Magnum-Fotografen überspannen sieben Jahrzehnte. Viele Ikonen der Fotografie sind darunter, etwa das Foto von Stuart Franklin, der 1989 in Peking einen unbewaffneten Mann fotografierte, der sich vier Panzern in den Weg stellte. Obwohl Franklin weit entfernt stand, wurde sein Bild zum Aufmacher in vielen Zeitungen und Magazinen. Alle diese Beispiele werden in kurzen, hilfreichen Texten erläutert.
Das Buch selbst ist gestaltet wie eine Schachtel für Fotopapier, in denen sich die Kontaktabzüge zu Zeiten der analogen Fotografie stapelten. Auch damit erinnert der aufwendig gestaltete Band an diese vergangene Ära. Aber in erster Linie zeigt es, wie die Bilder der berühmten Agentur entstanden - ein spannender Einblick.
Magnum Contact Sheets
Verlag Schirmer/Mosel
508 Seiten, 435 Abb., 98 Euro
ISBN 978-3-8296-0550-2