Rezension: Siegfried Lenz - „Mit Dir ist es leichter“
In seiner Novelle „Landesbühne“ setzt Siegfried Lenz auf Freundschaft – jenseits aller Religionen und Ideologien.
Hamburg. Berührend, humorvoll, lebensweise: In seiner neuen Novelle "Landesbühne" bleibt Siegfried Lenz sich treu. Der 83-Jährige hat ein vom Umfang her kleines Buch geschrieben, das jedoch wie die Summe seiner von Nazi- Diktatur, Weltkrieg und Heimatverlust belasteten Lebenssicht wirkt. Es ist ein literarisches Bekenntnis zu Menschlichkeit und Herzenswärme als Schlüssel für ein gelingendes, sinnerfülltes Leben - allen Widrigkeiten und Schicksalsschlägen zum Trotz.
Jenseits aller Religionen und Ideologien, deren Versprechen nicht nachprüfbar oder gescheitert sind, setzt Lenz auf Freundschaft und Gemeinschaft. Und auf die aufklärerische wie lebenspendende Kraft von Kultur, von Theater, Tanz und Literatur.
Das Buch ist ein Bekenntnis zur philosophischen Richtung des Existenzialismus. So lässt Lenz in seinem Werk die Titel gebende Landesbühne Samuel Becketts existenzialistischen Klassiker "Warten auf Godot" im Gefängnis aufführen - und einer der Protagonisten der Novelle, der Gefangene Hannes, sagt emotional aufgewühlt: "Der Mann, der das geschrieben hat, wusste alles über mich, und wusste, was warten heißt ohne Hoffnung (...). Die Trauer ist die innigste Verbindung mit einem Menschen, die gemeinsame Trauer."
Lebensphilosophie allein macht kein gutes Buch. Als Handlungsrahmen hat sich Lenz diesmal ein nahezu fantastisches Schelmenstück ausgedacht: In einem Gefängnis in der norddeutschen Provinz sitzen Kleinkriminelle, die da gar nicht hingehören.
Ein Bauchredner, der alte Damen finanziell betrog, oder Bolzahn, ein Heiratsschwindler. Die beiden wichtigsten Charaktere sind jedoch Hannes und Clemens: Der vermeintliche Polizist, der Autos anhielt und Bußgelder kassierte, und der Professor mit dem Spezialgebiet Sturm und Drang, der angeblich seine Studentinnen vor den gut bestandenen Examina nächtens zu Hause hatte - ein Vorwurf, der sich aber am Ende als falsch herausstellen wird.
Insgesamt ein Dutzend Gefangene entkommt mit dem Bus der Landesbühne, die in der Haftanstalt ein Gastspiel gibt, ohne jede Gewalt. Im fiktiven schleswig-holsteinischen Ort Grünau hält man die Truppe fürs erwartete Ensemble der Landesbühne. Die Gefangenen werden hofiert, es werden Feste gefeiert.
Und die Gefangenen blühen auf, genießen das Leben. Irgendwann fliegt die Sache auf, die Gefangenen landen wieder im Knast, Depression, ein Selbstmord. Dann erneut ein Gastspiel der Landesbühne im Gefängnis, symbolträchtig mit "Warten auf Godot". Wie die beiden Landstreicher Wladimir und Estragon vergeblich auf Godot (von vielen Kritikern als Gott gedeutet) warten, so fehlt den Gefangenen die Lebensperspektive und der Lebenssinn.
Lenz entwirft immer wieder berührende Bilder, die eine Antwort weisen können. So verwirft Hannes den Plan, erneut auszubrechen, und bleibt bei Clemens: Jeder muss etwas aushalten, ertragen. "Mit Dir ist es leichter, alles hier." Und so stoßen sie am Ende mit einem Glas an. Worauf? "Auf unser Zusammensein, Hannes, nur darauf", sagt Clemens, der Professor.