Buchbesprechung So sind sie, die anderen Völker — und so sind wir Deutschen
Im Reise-Know-How-Verlag liegt jetzt die zweite Staffel der „Fremdenversteher“ vor. Eine passende Lektüre zur Urlaubszeit.
Düsseldorf. Vielleicht muss man in diesen Zeiten ab und an ganz einfache Dinge in Erinnerung rufen — zum Beispiel, dass Reisen eine relativ gute Gelegenheit ist, mal Menschen anderer Kulturkreise kennenzulernen. Zumal mit einer entspannten Urlaubsstimmung die Chancen wachsen, dass diese Begegnungen auch gewinnbringend verlaufen. Wenn es zum Äußersten kommt, wäre sogar denkbar, dass auf diesem Weg das ein oder andere Vorurteil ins Wanken geraten könnte.
Wer dabei nicht volles Risiko gehen will, bereitet sich vor. Humor ist dafür ein probates Mittel. Und da fangen die Unterschiede schon an. Die Engländer nennen eine Buchreihe, die sich den Charakteristika diverser Völker widmet, „Xenophobe’s Guides“, was so viel bedeutet wie Fremdenhasser-Führer. Die Deutschen wählen für die Adaption der Idee den Titel „Die Fremdenversteher“, das klingt weniger sarkastisch und ein bisschen nach Pferdeflüsterer. Wir wollen halt immer auf der richtigen Seite stehen.
Rechtzeitig zur Ferienzeit liegt jetzt die zweite Staffel vor: „So sind sie, die Australier“. Und die Spanier. Und die Belgier. Und die Schweizer. Und (schließlich sind wir uns ja manchmal selbst fremd) auch die Deutschen. Fünf brusttaschentaugliche Bändchen à je 108 Seiten. Und dass die Werke unterschiedlicher Autoren bei aller plaudernd-witzigen Unterhaltsamkeit nicht ins völlig Belanglose abgleiten, dafür steht der verlässliche Reise-Know-How-Verlag, der mit den Neuerscheinungen zusammen nun inzwischen 15 Nationalitäten im Angebot hat.
Eine Vorliebe für Außenseiter
Nähert man sich dem Fremden über die größtmögliche Entfernung, landen wir bei den Australiern. Denen könnten wir trotz der weiten Reise problemlos aus dem Weg gehen, denn es gibt in Down Under im Schnitt nur drei Einwohner pro Quadratkilometer. Kommt es dennoch zur Begegnung, sollte man um die Vorliebe der Aussies für Außenseiter wissen. Wer allerdings die Einheimischen mit seiner Einzigartigkeit beeindrucken will, den warnt der Autor vor einer australischen Grundhaltung: „Der Versuch, außergewöhnlich zu sein, ist bewundernswert. Damit Erfolg zu haben, ist unverzeihlich.“
Womit wir bei den Spaniern wären. Hier wäre es ratsam, gleich bei der ersten Begegnung zu sondieren, wo unser Gegenüber seinen jüngsten Urlaub verbracht hat. Denn die Spanier „haben keine hohe Meinung von Leuten aus Ländern, in denen sie sich gelangweilt haben“. Man könnte ein Gespräch also sicherheitshalber mit der Frage beginnen: „Waren Sie schon einmal in Bielefeld?“ Ansonsten sollte man wissen, dass man Spanier am besten dazu bewegt, etwas zu tun, indem man es ihnen verbietet. Insofern müssten sich mit einem Spanier sehr gut Pferde stehlen lassen — solange das nicht langweilig ist.
Langeweile ist nun ein Ruf, gegen den die Belgier bereits seit Langem ankämpfen. Ein Kampf, der schon allein deswegen Legitimationsprobleme hat, weil sich laut einer Meinungsumfrage 60 Prozent der Belgier wünschen, sie wären anderswo geboren. Andererseits ist für sie „gesunder Menschenverstand wichtiger als ein origineller Gedanke“. Wenn sich diese Erdung paart mit harter Arbeit, „Humor und Toleranz gegenüber Ausländern“, lässt sich ja kaum etwas gegen sie einwenden. Außer, dass Wallonen und Flamen diese Eigenschaften untereinander sofort wieder fallen lassen. Und dass sie einen der Hauptgründe der EU darin sehen, „dass man die Deutschen damit im Zaum halten kann“.
Verantwortung für den Rest der Welt
Die Deutschen werden auch von den Schweizern skeptisch betrachtet — „weil sie so selbstbewusst sind, ganz zu schweigen davon, dass sie so gut Deutsch sprechen“. Aber die Schweizer haben es ohnehin auf sich genommen, „Verantwortung auch für weniger vernünftige Nationen zu übernehmen — also für den Rest der Welt“. Weil sie dem Glauben anhängen, das Beste komme zuverlässig aus dem eigenen Land, gibt es auch nur wenige Völker auf der Welt, „die so oft und so begeistert Flagge zeigen wie die Schweizer“. Gleichzeitig beharren sie geradezu aggressiv auf ihrer Neutralität.
Völlig neutral können wir uns nach diesem Parforceritt durch vier Nationalitäten wieder uns Deutschen widmen. Da ist das Buch allerdings bereits veraltet, denn es behauptet, unsere Fußballmannschaft verliere selten. Aber hinter dieser vermeintlichen Unangreifbarkeit „steckt eine Nation, die sich sehr präzise darüber im Unklaren ist, wo sie sich gerade befindet, wohin sie geht, sogar, wie sie dahingekommen ist“. Klar ist dagegen: Die Deutschen sehnen sich danach, von anderen Völkern verstanden und geliebt zu werden, „aber insgeheim sind sie auch stolz darauf, dass dies niemals der Fall sein wird“. In diesem Sinne: frohes Reisen und erhellende Begegnungen.