Verloren in der digitalen Welt
Frank Schirrmacher zeigt in „Payback“, wie der Computer die Gesellschaft verändert.
Düsseldorf. "Mein Kopf kommt nicht mehr mit." So beginnt Frank Schirrmachers Abrechnung mit dem "digitalen Tsunami", der nicht nur unsere Gesellschaft, sondern auch uns selbst mehr zu verändern droht, als wir uns eingestehen wollen. Das Dauerfeuer aus Handy-Geklingel, E-Mail und SMS empfindet der Mitherausgeber der FAZ als "Körperverletzung". Mehrmals am Tag sieht sich Schirrmacher "im Zustand des falschen Alarms".
Etwas mit ihm stimme nicht mehr. "Kurzum: Ich werde aufgefressen." Angesichts dieser Leidensgeschichte vermutete die "Berliner Zeitung" schon, der Verlag habe seinem Mitherausgeber in der Redaktion eine eigene leistungsstarke Krankenstation eingerichtet. Denn anders sei, bedenke man den traurigen Zustand des Autors, dessen ungebrochene publizistische Produktivität nicht zu erklären.
Der Spott ist hübsch, aber ungerecht. Natürlich kommt auch "Payback. Warum wir im Informationszeitalter gezwungen sind zu tun, was wir nicht wollen, und wie wir die Kontrolle über unser Denken zurückgewinnen" im Gestus der Katastrophenliteratur daher. Wie schon in Schirrmachers "Methusalem-Komplott" oder "Minimum" geht es wieder einmal um alles. "Punktlandungen im Zeitgeist" nannte die "Süddeutsche" diese Methode.
Doch das Spiel mit der Angst hat ja durchaus einen realen Hintergrund: Wir alle spüren doch unsere Ohnmacht angesichts der schleichenden Machtübernahme durch den Computer. Und Schirrmacher beobachtet genau, und es lohnt sich, seine Diagnosen und Beobachtungen zu lesen.
Nach Schirrmacher sind wir Zeuge "eines epochalen Selbstversuchs, das menschliche Hirn der Maschine anzupassen". Denn die Informationen unterwerfen sich das Hirn, nicht umgekehrt. Selbst die Fähigkeit, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden, haben wir schon an den Computer abgegeben.
Schirrmacher gelingen schöne Formulierungen: "Wir alle, die wir auf den gläsernen Bildschirm starren, sind Menschen bei der Fütterung." Nicht zufällig erinnert er an Kafka, Thema von Schirrmachers Dissertation, und dessen Gregor Samsa in der "Verwandlung", der eines Morgens als Käfer erwacht: Verändert der Computer das menschliche Hirn?
Schirrmacher zitiert und erörtert eine Fülle von Statistiken, Untersuchungen und Experimenten, die belegen, wie die "autoritäre Herrschaft" der Computer Mensch und Gesellschaft verändert. Ist der Computer tatsächlich "eine Maschine, die glaubt, dass Menschen denken können"? Wir beginnen ja schon, uns selbst als Computer zu beschreiben: Wir hatten einen "Absturz", unsere "Festplatte ist gelöscht", unsere "Batterien sind leer". Schirrmachers Antwort ist nicht Kapitulation oder Maschinenstürmerei. Er fordert uns auf, die Kontrolle zurückzugewinnen, indem wir die Angst vor dem Kontrollverlust verlieren.
Aufmerksamkeit und Kreativität sind seine Antwort. Offen sein für Unerwartetes, die Dinge auch einmal anders sehen. Denn auch das gibt es im Netz. Als Beispiel nennt er die "Nachdenkseiten" von Albrecht Müller und Wolfgang Lieb: "im besten Sinne alteuropäische Diskurse".
Schirrmachers Text ist eine Kampfschrift, aber eine, die sich mit Gewinn und Vergnügen liest. Und die wir lesen sollten, wenn wir wissen wollen, was mit uns geschieht, wenn wir tun, was wir Tag für Tag tun. Und wenn wir den Preis wissen wollen, den wir dafür bezahlen. Denn wir zahlen diesen Preis, auch daran erinnert Schirrmacher, selbst dann, wenn "alles gratis" ist.