Geschichten: „Und wer nicht mehr kann, der soll sterben. Schluss.“
Amos Oz bewegt mit Menschen, die Unglück hatten.
Düsseldorf. Der israelische Heinrich-Heine-Preisträger Amos Oz legt in seiner jüngsten literarischen Publikation acht Geschichten vor, die alle in dem fiktiven Dorf Tel Ilan im nördlichen Israel spielen. Und nie erzählen sie von einer im herkömmlichen Sinne heilen Welt, von gesunden Familien.
Die Kinder fliehen vom tristen Land in die Stadt. Entweder sind die Partner geschieden oder sehnen sich nach Jerusalem oder Tel Aviv. Nach Tel Ilan kommen höchstens noch Schnäppchenjäger oder Wochenendtouristen.
Da ist zum Beispiel die alleinstehende Ärztin Gili Steiner, eine eher hagere Frau, die mit einem Mordsaufwand für die nächsten Tage eingekauft und das Haus vorbereitet hat auf den Besuch ihres Neffen Gideon, den sie geliebt hat seit Kindesbeinen und immer lieben wird. Es gibt Fisch und Kartoffeln zu Abend.
Sie beeilt sich, zum Abendbus zu gelangen, um Gideon nur ja nicht zu verpassen, er war ja immer ein bisschen schusselig. Aber der Bus kommt ohne Gideon. Sie geht durch die Nacht nach Hause und weint. Zumal sie jetzt das Schlimmste fürchtet: Gideon ist schwerer krank als geahnt - er hatte sich beim Militär eine Niereninfektion geholt -, oder er hat eine Freundin.
"Der Gedanke an die Freundin, die Gideon gefunden hatte, erfüllte sie mit einem unerträglichen Schmerz. Als wäre sie innerlich ganz leer und nur noch von einer drückenden, ausgetrockneten Schale umfangen."
So sind die Menschen hier, leidensfähig - oder das Gegenteil: Pessach Kedem "war alt, groß, bucklig, jähzornig und rachsüchtig". In der vorletzten Geschichte aber, "Singen", treffen fast alle wieder zusammen bei Dalia Levin und Abraham. Vorausgegangen war ein schreckliches Unglück, als ihr 16-jähriger Sohn sich mit der Pistole Abrahams unter dessen Bett erschoss und man ihn erst nach Tagen fand.
Seither haben sie das Überleben geübt. Dalia leitet einen Meditationskreis und auf ihre Anregung singen sie in regelmäßigen Abständen israelische oder melancholische russische Lieder. Und am Ende geht es nur noch um den Tod: "Und wer nicht mehr kann, bitte, der soll sterben. Und Schluss."
Amos Oz: "Geschichten aus Tel Ilan." Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler. geb., 189 S., 16,80 Euro, Suhrkamp Verlag ISBN-13: 978-3-5184-20676