Weltrekordlesung aus Karl Mays Gefängniszelle
Mittweida (dpa) - Mitte März soll die längste Nonstop-Lesung der Welt im sächsischen Mittweida beginnen. Sieben Wochen lang werden Hunderte, vielleicht auch Tausende Karl-May-Fans die Abenteuer von Hadschi Halef Omar und von Winnetou vortragen - organisiert von Studenten.
Raum Nummer zwei ist doppelt gesichert. Zwei Türen müssen entriegelt werden, in der inneren gibt es eine Luke. Gebraucht wird sie schon lange nicht mehr, drinnen lagern nur noch historische Akten. 1870 waren die sieben Quadratmeter des damaligen Gefängnisses im sächsischen Mittweida noch für Kleinkriminelle wie Karl May (1842-1912) reserviert. In der Zelle, in der der Erfinder von Winnetou und Old Shatterhand, von Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar damals einsaß, wollen Studenten nun einen Weltrekord aufstellen: Die längste Nonstop-Lesung der Welt.
Der Abenteuerschriftsteller May verbrachte als 28-Jähriger sieben Wochen in der Zelle - dann wurde er wegen Betrügereien und Diebstählen zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und ins Zuchthaus verlegt.
Am historischen Ort wird nun jeder, der beim Rekordversuch mitmacht, 20 Minuten lang Karl May lesen. Am 14. März - dem Tag, an dem May in Mittweida in Untersuchungshaft kam - soll es losgehen. Bis zum 3. Mai - als May ins Gefängnis abwanderte - haben die Vorleser Zeit. Ob sie das ganze May-Werk schaffen, ist nicht mehr ganz so sicher. „Es wird in jedem Fall länger dauern, als wir eigentlich gedacht hatten“, sagt Stefanie Walter.
Die 20-Jährige führt gemeinsam mit dem sechs Jahre älteren Marc Simon die Gruppe der etwa 30 Medienstudenten an, die den Rekordversuch in Angriff nehmen. Ursprünglich waren die Studenten von 44 Tagen ausgegangen, hatten sie doch 42 324 Seiten in sämtlichen May-Büchern gezählt. Da hatten sie noch keinen Kontakt zum Karl-May-Verlag in Bamberg (Bayern), dessen Experten um das offenbar doch deutlich umfangreichere Oeuvre wussten.
Nach und nach schicken sie nun den ganzen May digitalisiert nach Mittweida. „Sie wissen einfach, was wirklich von May stammt und was nicht“, sagt Walter. 55 Lesetage wird es dauern, lautete eine der letzten Prognosen. Da könnten ein paar Schnellleser helfen, um den kompletten May an seinen einst 51 Zellen-Tagen unterzubringen. Mit dem „Gefangene Visionen“ überschriebenen Karl-May-Projekt betreten die Studenten des Medienwissenschaftlers Ludwig Hilmer Neuland. Sie bemühen sich dabei auch um prominente Schauspieler, Politiker, Autoren und Medienleute.
Längst haben sie auch Kontakt zu Institutionen aufgenommen, die an den populären Autor erinnern. Das Museum in Radebeul schickt etwa die Reproduktion eines Originalschreibtischs von May auf die Reise - die Vorleser sollen ja nicht in x-beliebigem Ambiente rezitieren. Die Idee mit der Rekordlesung stammt von Ludwig Hilmer, der schon als Achtjähriger May in Gedanken „Durchs wilde Kurdistan“ folgte.
„Wir werden wahrscheinlich Tag und Nacht im Nebenraum der Zelle campieren“, sagt Walter. Das Spektakel soll live im Internet übertragen werden. Seitdem der Rekordversuch publik wurde, melden sich ständig Freiwillige aus ganz Deutschland. „Ich könnte Ihnen ab Mitte April 2011 zur Verfügung stehen, wenn Sie es wünschen“, schrieb ein älterer Herr aus Niedersachsen. Er sei durch das Vorlesen bei Sohn, Nichten, Neffen und Enkeln qualifiziert, „u.a. mit K. May“.