Schlachtruf einer Tigermutter - Kinder zum Erfolg quälen?
Ziel der Kindererziehung war lange Zeit vor allem die freie Entfaltung der Persönlichkeit - in Amerika genauso wie in Europa. Jetzt sorgt eine harte „Tigermutter“ in den USA für Aufsehen. Die Theorie von Amy Chua: Kinder muss man drillen - zu ihrem Besten.
New York (dpa) - Beim Schulsport in den USA verzichten manche Lehrer darauf, die Fußballtore und Körbe beim Basketball zu zählen. Denn die Schüler sollen nicht auf Leistung und Gewinnen getrimmt werden. Die Autorin Amy Chua kann über so ein Verhalten nur lachen: Sie hat ihre eigenen Kinder auf Leistung gedrillt. Gequält, sagen andere. Ihr Buch einer „Tigermutter“ entfachte in den USA eine heftige Erziehungsdebatte, die auch nach Deutschland schwappt.
Bei der Wissenschaftlerin Chua selbst hat Erfolg vermutlich immer das Leben bestimmt. Sie stammt aus einer chinesischen Einwandererfamilie von den Philippinen. Der Vater Professor, die Geschwister ebenfalls Erfolgsmenschen. Schwester Cynthia leidet zwar unter dem Down-Syndrom, Höchstleistungen bringt sie trotzdem: Bei Olympischen Spielen für Behinderte erschwamm sie schon Goldmedaillen.
Amy Chua selbst, 1962 bei Chicago geboren, machte brillante Abschlüsse in Wirtschaft und Jura an der Harvard-Universität. Sie war sogar eine der Herausgeberinnen der „Harvard Law Review“, der meist zitierten Rechtszeitschrift der USA. Heute ist sie Rechtsprofessorin in Yale, Harvards ewiger Konkurrenz. Erfolg hat sie nun auch als Buchautorin. Unter dem provokanten Titel „Battle Hymn of the Tiger Mother“ (übersetzt: „Schlachtruf der Tigermutter“) erzählt sie, warum chinesische Mütter besser seien als westliche: Nur mit Druck und Strenge könnten Kinder langfristig erfolgreich werden - statt nach einer gemütlichen Kindheit als Erwachsene zu versagen.
Chuas brutale Methoden der „chinesischen Erziehung“ klingen für westliche Ohren allerdings, als würde sie ihre Kinder eher für spätere Dauersitzungen beim Psychologen vorbereiten: Dass sie ihren beiden Töchtern Fernsehen und Computerspiele verbot, würde zumindest in Europa viele noch begeistern. Doch die Mutter beschränkte auch soziale Kontakte auf ein Minimum. Kinderpartys oder das Übernachten bei Freunden waren verboten. Für Schulaufführungen hatten Sophia und Louisa auch keine Zeit. Schließlich mussten sie stundenlang musizieren. Natürlich Geige und Klavier, eine Gitarre wäre Mama Chua nie ins Haus gekommen.
Die Amerikaner erregt aber noch viel mehr, wie die Mutter Druck auf ihre Kinder machte. Keine Fehler waren erlaubt, Versagen wurde nicht geduldet, Aufgeben schon gar nicht. Nicht Klassenbeste sein - das war verboten. Eines der Mädchen - beide sind heute im Teenager-Alter - durfte so lange nicht auf die Toilette, bis ein Musikstück richtig saß („das Haus war zum Kriegsgebiet geworden“). Und zuweilen drohte die Mutter auch schon mal, das Lieblingsplüschtier zu verbrennen, wenn die Leistung nicht stimmte.
Die Amerikaner kaufen das Buch dennoch zu Tausenden. Und viele verurteilen die Autorin. Sie sei fanatisch, rücksichtslos, fies, schrecklich, beschränkt, arrogant und völlig besessen vom Erfolg ihrer Kinder, heißt es in Kommentaren. Kann man mit Druck wirklich Mädchen und Jungen zu Wunderkindern machen? Auch in Deutschland, wo schon vor Jahren über Bernhards Buebs „Lob der Disziplin“ diskutiert wurde und gerade über die angeblich zu autoritäre Berliner Lehrerin Ursula Sarrazin, trifft das Buch offenbar einen Nerv. „Müssen Kinder zum Erfolg gezwungen werden?“, fragt etwa die „Bild“-Zeitung mit Blick auf das Chua-Zitat „Für den Erfolg musst du deine Kinder quälen!“. Und der Verlag hat das Erscheinungsdatum der deutschen Ausgabe („Die Mutter des Erfolgs - Wie ich meinen Kindern das Siegen beibrachte“) von Februar auf Ende Januar vorgezogen.
In den USA fragen Zeitungen wie das Wirtschaftsblatt „Wall Street Journal“, warum Kinder aus asiatischen Ländern bei Bildungsstudien in der Regel vorn liegen - und amerikanische irgendwo auf Platz 20 und bei Mathematik sogar noch weiter unten. Andere verweisen darauf, dass jedoch auch die Selbstmordrate bei Asiaten höher liege.
Amy Chua verteidigt ihr Buch unterdessen in vielen Talkshows - und auch in Interviews mit deutschen Medien. Im „Spiegel“ sagte sie: „Sie können einem Sechsjährigen nicht sagen: „Gehe heute mal deinen Leidenschaften nach, ich möchte nur, dass du glücklich wirst.“ Das ist zu romantisch.“ Ihre beiden Töchter zumindest sind erfolgreich und - wie sie sagen - auch glücklich. „Wenn ich morgen sterben müsste, hätte ich das Gefühl, dass ich mein Leben zu 110 Prozent gelebt hätte“, schrieb Sophia, die angeblich mit drei Sartre las, in der „New York Post“. „Und dafür danke ich dir, Tigermama.“