Wimmelbilder und Grafikkunst - Rotraut Susanne Berner wird 65
München (dpa) - Ein Mädchen, das seinen entflogenen Papagei einfangen will. Ein Jogger, der Schlüssel und Geldbeutel verliert. Und eine Frau, die ihr Auto in der Werkstatt richten lässt. Alles Szenen aus dem „Winter-Wimmelbuch“ von Rotraut Susanne Berner.
Im Laufe der Geschichte fliegt der Vogel wieder in den Käfig, der Jogger bekommt seine Sachen zurück und das frisch reparierte Auto landet am Pfahl eines Haltestellenschildes.
Vor gut zehn Jahren landete die Illustratorin mit ihrem ersten Wimmelbuch einen Erfolg. Liebevoll und mit viel Humor erzählt sie mit Bildern kleine Geschichten, die sich schon Zweijährige alleine erobern können. „Ich habe sicher noch einen ganz guten Draht zu dem Kind, das ich mal war“, sagt Berner über sich selbst. Am Montag wird sie 65 Jahre alt.
In ihrer Geburtsstadt Stuttgart lebt sie schon lange nicht mehr. Berner wohnt im Münchner Schlachthofviertel, einem industriell geprägten, lebendigen Viertel mit kleinen Geschäften, Cafés und Kneipen. Eine Fundgrube für die Grafikdesignerin, vor allem in der Zeit, in der sie für den Gerstenberg-Verlag ihre Werke rund um die Bewohner der fiktiven Kleinstadt Wimmlingen entwickelte. „Als ich die Bücher gezeichnet habe, war ich schon programmiert, die Augen anders aufzuhalten und auch auf Kleidung oder schräge Typen zu achten“, erzählt die Zeichnerin.
Berners Vorbild war vor allem Walter Trier, der Bücher von Erich Kästner wie „Pünktchen und Anton“ oder „Emil und die Detektive“ bebilderte. Von ihm hat sie die schwarze Konturierung ihrer Figuren, die sie dann bunt ausmalt.
Inzwischen gibt es Geschichten über alle vier Jahreszeiten. Wimmlinger wie Niko, der Papagei, oder Armin, der Buchhändler, haben sogar eigene Bücher mit Bildern und Reimen. Auch international erweckte Berners „Winter-Wimmelbuch“ Aufsehen - wegen Pornoverdachts. In den USA störte man sich am Bild einer winzigen nackten Männerskulptur mit einem kaum sichtbaren Mikro-Penis. Prompt verzichtete der US-Verlag darauf, das Buch auf den Markt zu bringen. „Das war ein kurzes Sommerlochfeuer“, sagt Berner. Allerdings ein lohnendes. „Das war super Werbung für mein Buch.“ Inzwischen haben sich die Wogen geglättet. Ein anderer Verlag brachte das Werk in die USA, wo es gut ankam.
Doch Berner hat nicht nur Wimmlingen geschaffen. Sie schrieb Geschichten über den Hasen „Karlchen“, erzählte Märchen in Comic-Form und verfasste poetische Katzengedichte. Für Hans Magnus Enzensberger illustrierte sie den „Zahlenteufel“ und „Bibs“.
Besonders am Herzen liegt ihr das Erbe ihres 2012 verstorbenen Mannes Armin Abmeier, einem Buchhändler und Verlagsvertreter. Von ihm hat sie die Herausgabe der „Tollen Hefte“ übernommen, literarische Kunstwerke mit Texten von Autoren wie Charles Bukowski, Gottfried Benn oder Gertrude Stein, die von namhaften Zeichnern illustriert werden. Auch „Die Tolle Galerie“ in München gehört dazu.
Berner selbst war an fünf Heft-Exemplaren beteiligt, hat sie aufwendig illustriert mit Offset-Lithographie. „Diese Hefte sind einfach wunderschön“, schwärmt sie. Eine Spielwiese für Grafiker, Zeichner und Illustratoren, auf der man zwar wenig verdient, die aber mit ihrem künstlerischen Anspruch begeistert. „Das ist eine Möglichkeit, sich noch mal anders zu formulieren“, findet Berner.
Während andere an ihrem 65. Geburtstag ans Aufhören denken, ist die Illustratorin noch lange nicht so weit. Gerade arbeitet sie an einem neuen Kinderbuchprojekt. „Für mich als Freiberuflerin bedeutet dieses Datum gar nichts“, sagt sie. Deshalb wolle sie auch nicht groß feiern. „Ich glaube, den Geburtstag lasse ich einfach untergehen.“