Bedrückend wie beeindruckend: Wedels „Hexenjagd“

Bad Hersfeld (dpa) - Das Ende ist drastisch. Nach erbarmungsloser, hysterischer Hetzjagd hängen Menschen am Galgen. Dann fällt ein Schuss, ein Intrigant aus der ersten Reihe wird ermordet. Der Applaus des Publikums entwickelt sich nach der Schlussszene erst langsam zu einem deutlichen Zeichen der Anerkennung.

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Denn was Regisseur Dieter Wedel zum Auftakt der 66. Bad Hersfelder Festspiele auf der Freilichtbühne präsentiert, ist kein leichtes Sommertheater. Wedels Inszenierung des Dramas „Hexenjagd“ ist bedrückend und beeindruckend zugleich. Deswegen braucht es einen Moment, bis einige der 1200 Zuschauer die Auftaktpremiere mit „Bravo“-Rufen belohnen.

Wedel (73), zugleich Intendant des bis 28. August laufenden Theaterfestivals, zeigte über zweieinhalb Stunden eine eindringliche und atmosphärisch dichte Fassung des Klassikers von Arthur Miller. Fachleute und Prominente unter den Premierengästen zeigten sich bewegt von der neuesten Bühnenarbeit des preisgekrönten Filmemachers (u.a. „Der Schattenmann“).

Und Wedels Reaktion nach dem mit Spannung erwarteten Auftakt? „Ich bin erleichtert. Man weiß ja nie, wie solch ein Stück ankommt. Das kann völlig daneben gehen. Aber man muss die Leute auch mal fordern, damit wir nicht abstumpfen“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Wedel fasziniert der Stoff des gesellschaftskritischen Dramatikers. Hexenjagden seien immer noch aktuell, hochbrisant und überall zu beobachten. Er sieht Parallelen dazu in der Gegenwart. Etwa wenn es um Verunglimpfungen und Hetze im Internet geht. Wenn es in Sozialen Medien auf einmal fürchterlich unsozial, zuweilen menschenverachtend zugeht. Wenn hasserfüllte Menschen andere aus der Anonymität heraus attackieren. In der „Hexenjagd“ geht es im Vergleich dazu darum, wer mit dem Teufel im Bunde steht und bestraft gehört.

Eine Triebfeder des Stücks ist das Thema, wie sich Massen mobilisieren und lenken lassen. „Wir zeigen, wie aus unbedeutenden Vorfällen Gerüchte entstehen und diese Gerüchte wiederum eine Lawine auslösen - eine Verfolgungshysterie. Wenn die Herde erst mal in Bewegung geraten ist, trampelt sie besinnungslos alles nieder und ist durch nichts mehr aufzuhalten.“ Wedel siedelt das Stück aber nicht im 17. Jahrhundert an, sondern in den 1930er Jahren: „Das wäre sonst zu romantisierend.“

Um das Stück so zu erzählen, wie es ihm vorschwebt, hat Regisseur Wedel für ein Novum bei den Festspielen gesorgt. Am Rand der Bühne steht ein Leinwand, auf der Filmszenen laufen. Sie liefern den Zuschauern Kontext und Hintergrundwissen zu den Akteuren und Begebenheiten. Großartig eingebunden wird damit Jasmin Tabatabei. Sie steht zwar nicht auf der Bühne, ist aber in den Sequenzen als Erzählerin zu sehen. Sie beweist selbst als Landstreicherin Klasse.

Ihre Klasse demonstrierten auch die Mitglieder des homogen geformten und hochkarätig besetzten Ensembles. Einige aus Film und Fernsehen bekannte Darsteller konnte Wedel verpflichten, darunter Elisabeth Lanz, Christian Nickel, Richy Müller, André Eisermann, André Hennicke, Hans Diehl, Horst Janson und Brigitte Grothum.

Richy Müller, bekannt als Stuttgarter „Tatort“-Kommissar, spielt in den „Hexenjagd“ Reverend John Hale. Er sah in der Größe der Bühne (1400 Quadratmeter) eine Herausforderung. „Es ist nicht einfach, den Fokus auf die Akteure zu lenken. Aber bei dieser Inszenierung erscheinen die Figuren wie unter einem Brennglas. Das Stück wird zum Kammerspiel.“

Herzklopfen verspürte dabei Film-Ass André Hennicke („Die Entbehrlichen“), der seit 30 Jahren wieder auf der Bühne stand. „Das war berauschend - und der Grund, wieso ich wieder Theater machen wollte, wieder diese Aufregung spüren. Beim Drehen habe ich das nicht mehr. Wenn was misslingt, setzt man neu an. Hier habe ich vor lauter Aufregung sogar einen Satz vergessen. Hat man aber nicht gemerkt.“

Neben den durchweg guten Leistungen der arrivierten Branchen-Könner war auch eine Debütantin zu sehen. Motsi Mabuse, Jurorin der RTL-Tanzshow „Let's dance“, stand erstmals auf der Schauspielbühne - und machte ihre Sache als Tituba ordentlich. Herausragende Auftritte in der „Hexenjagd“ hatten zwei rothaarige, junge Damen. Corinna Pohlmann hinterließ als Abigail, eine treibende Kraft im Intrigenspiel, nachhaltigen Eindruck als lüstern-durchtriebene Verführerin. „Es war ihre erste große Rolle“, sagte Wedel. Auch Janina Stopper bewies Talent und Strahlkraft. Wedel attestiert ihnen großes Potenzial. „Das sind welche, die bestimmt große Karriere machen und noch häufiger zu sehen sein werden.“