Bewegender Antikenmarathon am Schauspielhaus Hamburg

Hamburg (dpa) - Ein großer Stoff für eine große Bühne sollte es sein zu Beginn ihrer Intendanz am Hamburger Schauspielhaus.

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„Dieser gigantische Zuschauerraum verlangt nach großen Stoffen und danach, ihm mit einer bestimmten Wucht zu begegnen“, hatte Karin Beier im Vorfeld angekündigt. Die ehemalige Kölner Intendantin entschied sich für fünf griechische Tragödien: „Iphigenie in Aulis“, „Die Troerinnen“ (beide von Euripides) sowie Aischylos' Stücke „Agamemnon“ und „Die Eumeniden“ aus seiner Trilogie „Die Orestie“ und Hugo von Hofmannsthals „Elektra“. Das Wagnis ist zum großen Teil geglückt: Das Premierenpublikum spendete am Samstagabend stürmischen Applaus für den siebenstündigen Antiken-Marathon „Die Rasenden“, die regieführende Intendantin musste aber auch einige Buh-Rufe hinnehmen.

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Es geht um Liebe und Hass, um Schuld und Sühne, um Politik und Religion. Und um die Frage: Was ist wichtiger? Das individuelle Glück oder das Gemeinwohl? Dafür schöpft Karin Beier viele unterschiedliche Theatermittel aus: von Anlehnungen an der antiken Aufführungspraxis mit riesigen Masken und Stelzenschuhen, den sogenannten Kothurn in der „Iphigenie“, der äußersten Reduktion in den „Troerinnen“ bis zum Einsatz von riesigen Videoleinwänden in der „Elektra“-Tragödie. Grell und bunt und etwas zu überladen wirken die Effekte in der „Agamemnon“-Tragödie, die fast zur Komödie wird. Das Bühnenbild stammt von Thomas Dreißigacker, die Kostüme von Maria Roers. Drei Musikerinnen begleiten das Bühnengeschehen durchgehend (Musik: Jörg Gollasch), dazu kommen 60 Chorsänger aus drei verschiedenen Chören.

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Die blutrünstige Geschichte der Familie der Atriden beginnt vor dem Hintergrund des trojanischen Krieges mit „Iphigenie in Aulis“: Damit das Heer nach Troja segeln kann, soll der griechische Heerführer Agamemnon (Götz Schubert) seine Tochter Iphigenie (Anne Müller) opfern. Zuerst zögert er noch, doch dann siegt sein Machtstreben. Götz Schubert gibt den griechischen König ohne Skrupel, Anne Müller ist eine zerbrechliche und zugleich willensstarke Iphigenie, die sich am Ende freiwillig opfern will. Es folgt ein zwanzigminütiges Konzert des Ensembles Resonanz, das den Trojanischen Krieg musikalisch übersetzt.

Nach einem Zeitsprung von zehn Jahren geht es mit den „Troerinnen“ weiter, ein klassisches Anti-Kriegsstück, das Beier schon zum Abschluss ihrer Intendanz in Köln gezeigt hat und das eindeutig zu den besten der fünf Stücke gehört: Troja liegt in Schutt und Asche und die Sieger verhandeln über die Witwen der trojanischen Krieger. Es wird der große Auftritt der Frauen, unter anderem Julia Wieninger als ehemalige Königin Hekuba und Lina Beckmann als ihre Schwiegertochter Andromache. Als diese erfährt, dass ihr kleiner Sohn sterben soll, bricht sie innerlich zusammen - die herzergreifende Szene lässt niemanden im Zuschauerraum kalt und verdeutlicht mehr als alles andere die Sinnlosigkeit von Kriegen.

Nach der ersten Pause geht es mit „Agamemnon“ weiter, der aus dem Troja-Krieg heimkehrt. Mit Schweinehälften in einer Kühlzelle, zwei Köchen, die in einer Edelküche brutzeln und einem riesigen Kronleuchter wird die Dekadenz geschildert, die nach zehn Jahren Abwesenheit des Königs im Atriden-Haus herrschen. Agamemnons Frau Klytämnestra (Maria Schrader) ist mittlerweile ein Verhältnis mit Ägisth (Markus John) eingegangen. Scheinheilig berichtet sie von Liebe und Treue, um wenig später ihren ahnungslosen Mann in die Falle zu locken. Mit einem Beil in der Hand steht sie nach dem Mord an ihrem Mann blutüberströmt in einem roten Rokokokleid auf der Bühne. Der Chor der Ältesten, dargestellt von Joachim Meyerhoff, Gustav Peter-Wöhler und Michael Wittenborn, zieht alles ins Lächerliche. Er nimmt dem Stück damit die Schwere, aber auch die Tiefe.

Der letzte Teil des Abends erzählt die Geschichte der anderen beiden Kinder von Agamemnon und Klytämnestra: Ihre Tochter Elektra, die nur noch in dem Gedanken an den ungesühnten Mord an ihrem Vater lebt, wartet in einem Kellerverlies auf den Zeitpunkt der Rache - eine Paraderolle für Gaststar Birgit Minichmayr. Ihr Sohn Orest (Carlo Ljubek) bringt schließlich seine Mutter und Ägisth um. Ob er schuldig ist oder nicht, soll am Ende das Volk entscheiden. Die Wissenschaft kann auch nicht helfen, da sie nur Hypothesen aufstellt. Die Schicksalsfrage bleibt damit den Zuschauern überlassen.