Bühnenpremiere von „Jeder stirbt für sich allein“
Berlin (dpa) - Die Freiheit bleibt unerreichbar. Auf der Bühne des Berliner Maxim Gorki Theaters deuten riesige Lettern bruchstückhaft das Wort Freiheit an. Doch der Schriftzug leuchtet nur bei extremer Gewalt hell auf, bei Mord und bei Folter.
Den düsteren Romantitel „Jeder stirbt für sich allein“ des Hans-Fallada-Werks setzten die Theatermacher bei der Premiere am Montagabend in trister Bühnen-Finsternis und grellen Bildern von Brutalität um. Keine Hoffnung, nirgends. In den USA, Großbritannien und Deutschland avancierte der Fallada-Roman zum Bestseller, nun ist „Jeder stirbt für sich allein“ auf der Theaterbühne zu sehen.
Regisseurin Jorinde Dröse und Dramaturg Jens Groß, der das Buch für die Bühne adaptierte, haben den 700-Seiten-Roman zu einem zweistündigen Theaterabend verdichtet. Fragmentarisch wird das Publikum mit dem Leben von Gestapo-Schergen, Mitläufern oder Opfern in der Nazizeit konfrontiert. Im Zentrum der Geschichte steht das ältere Ehepaar Quangel, das Nachricht vom Tod des einzigen Sohnes an der Front erhält. Die beiden beschließen, Postkarten mit Parolen gegen Hitler zu schreiben und heimlich auszulegen. Dies müssen sie schließlich mit dem Leben bezahlen. Die Handlung beruht auf einer wahren Geschichte, Fallada hatte 1946 Einblick in die Gestapo-Akten über das Ehepaar.
Bühnenbildnerin Barbara Steiner entwarf eine schiefe Ebene, auf der die Figuren um Gleichgewicht kämpfen. Ein Steg führt in den Zuschauerraum, dort werden im atemlosen Stakkato Teile des Romans vorgetragen. Das Erzähltempo wechselt, der Sturz einer Jüdin aus dem Fenster wird wie in Zeitlupe zu einer Art Tanz in den Tod.
Die Charaktere sind wie auch im Roman bisweilen überzeichnet, ob grotesk kostümierte Nazischergen mit Hitlerbart oder gewissenloser Denunziant. Sieben Akteure spielen 22 Rollen, Männer treten als Frauen auf und umgekehrt. Das erzeugt stellenweise eine irritierende Komik, etwa wenn sich ein muskulöser Mann mit blonden Zöpfen im Kleid räkelt und mit verstellter hoher Stimme spricht. Auch akustisch setzen die Theatermacher auf Kontraste: Mal scheppert ein Schlagzeug, mal ertönt ein Liebeslied von Sänger Damien Rice, mal grölen die Figuren dumpfe Naziparolen, und der ausgestreckte Arm als Hitlergruß wird zum lächerlichen Phallussymbol.
Trotz manch überzogener Szenen gelingt es den Theatermachern, die erzählerische Kraft des Romans zumindest teilweise auf die Bühne zu übertragen: Inmitten einer aus den Fugen geratenen Welt gehen zwei Außenseiter unbeirrbar ihren Weg bis auf das Schafott. Ruth Reinecke und Andreas Leupold spielen überzeugend das Ehepaar Quangel, wortkarg ringen sie mit der Einsamkeit und greifen zu der einzigen Waffe, die ihnen im Kampf gegen das Regime geblieben ist: das Wort. Die etwa 270 verfassten Postkarten erscheinen wie ein vergeblicher Akt des Widerstands - und haben als Drama über menschliche Größe in finsteren Zeiten Einzug in die Weltliteratur gehalten.
Der von Morphiumsucht und Alkoholexzessen gezeichnete Fallada schrieb das Buch kurz vor seinem Tod 1947. Erst im Februar 2011 erschien die Originalfassung ungekürzt, seither wurde der Roman nach Angaben des Aufbau-Verlages schon mehr als 150 000 Mal verkauft. Auch im englischsprachigen Raum avancierte „Jeder stirbt für sich allein“ zum Bestseller, in den USA und Großbritannien gingen seit 2009 mehr als eine halbe Million Exemplare über den Ladentisch.