„Cargo Fleisch“ in Hamburg uraufgeführt
Hamburg (dpa) - Zerfetzte Fleischbrocken auf Metalltischen. Ein mehlverschmierter Boden. Verstreute Flugblätter, dazwischen Fast Food und Müll.
Abstoßend sieht die Bühne des Malersaals im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg aus nach der einstündigen Uraufführung des Doku-Theaters „Cargo Fleisch“. Das Stück ist ein Experiment, changiert zwischen Hau-drauf-Theater und totaler Stille. Die knapp 150 Zuschauer honorierten das am Freitagabend mit langem Applaus.
Abgesehen hat es die Inszenierung auf moralische Widersprüche in der internationalen Lebensmittelindustrie. Am Beispiel der Hühnerzucht stellt Regisseur Clemens Bechtel vier Handlungsstränge auf vier Kontinenten nebeneinander, um die Folgen der Globalisierung zu zeigen. „Hähnchen sind ein Symbol für den weltweiten Nahrungskrieg“, sagte Bechtel vor der Aufführung.
Der Abend war gleichzeitig der Auftakt zur Reihe „Hunger for Trade“, an der sich Theater in neun Ländern beteiligen. Seit November 2013 recherchierten die Regisseure gemeinsam für das Projekt — anschließend erarbeitete jeder ein eigenes Stück. Am 30. Mai werden alle Beiträge an einem Festivaltag in Hamburg zu sehen sein.
„Cargo Fleisch“ beginnt ruhig. Wie in einer Arena sitzen die Zuschauer um die Bühne herum, Leinwände zeigen riesige Hühnerställe. Im Stakkato werden Vorschriften für die Geflügelzucht rezitiert - dann stürmen vermummte Aktivisten die Szene. „Freiheit für alle Tiere“, fordern sie und stecken einen Maststall in Brand.
Der Einstieg basiert auf einem wahren Vorfall: 2010 zerstörten Aktivisten in Sprötze bei Hamburg einen für die Geflügelhaltung errichteten Neubau. Eine Woche, bevor der Betrieb mit 37 000 Hähnchen beginnen sollte. „Der Zuschauer soll die Verbindung von Fiktion und Realität hinterfragen“, wünscht sich Regisseur Bechtel.
Von Norddeutschland geht es über Brasilien und Ghana weiter nach Indien - mit neun Darstellern untermalt von synthetischer Musik. Die Charaktere sind namenlos, austauschbar. Überall geht es ums Essen. Aber auch um Selbstbestimmung und Gerechtigkeit. Denn wer im globalen Handel die Fäden zieht, ist in dem Stück eindeutig - die Europäer, der Westen. Unerbittlich richtet sich die Inszenierung an das schlechte Gewissen des Publikums: „Essen Sie nicht auch gern Chicken Nuggets?“
„Wir ernähren die Welt“, ist von einem Lebensmittelunternehmer zu hören. „Afrika und Südasien - das sind Märkte, die wir erobern werden.“ Das Essen ist eine Ware, das Leben eine Industrie. Dann erscheint auf der Leinwand ein afrikanischer Junge. „Nahrung ist das, was Menschen essen, um in dieser Welt zu überleben“, sagt er. Solche Kontraste ziehen sich durch das Stück: Verteidiger des Handels mit Nahrung kommen zu Wort, doch sie erscheinen zynisch und herzlos.
Bechtel spielt in „Cargo Fleisch“ mit diesen Extremen, auch stilistisch. Als ein Indianerkind erschossen wird, geschieht das völlig lautlos. Die Schüsse sind nicht zu hören, in Zeitlupe fällt Schauspielerin Sachiko Hara zu Boden. Doch nur kurz darauf steht sie in anderer Rolle wieder schreiend da, hält einen Meißel in der Hand und hackt verächtlich auf eine tiefgekühlte Hühnerbrust ein.
„Cargo Fleisch“ ist daher eine Anklage: Gut und Böse, richtig und falsch sind ähnlich kontrastiert wie die schwarz-weiße Kleidung der Darsteller. Unvereinbar werden Positionen gegenübergestellt, Streits eskalieren, bis sie in einem ohrenbetäubenden babylonischen Stimmengewirr untergehen. In der falsch verbundenen Welt, die Bechtel zeigt, versteht sich am Ende niemand mehr.