Das Sterben der Primaballerina
Der Tanzschöpfer Heinz Spoerli erhält am Samstag in Essen den Deutschen Tanzpreis.
Essen. Kaum mehr als ein freundliches Mittelmaß erwartete die Ballettwelt, als der Tänzer und Nachwuchschoreograf Heinz Spoerli 1973 die Leitung des Baseler Balletts übernahm. Weit gefehlt. Kurz darauf war bereits die Rede vom "Baseler Ballettwunder". Mit klassischen Handlungsballetten, neu gelesen - oft mit Augenzwinkern -, choreografierte er sich in die Herzen des Publikums und der Kritik.
Auch mit Abstrakterem, insbesondere zu Mozart und Bach, gelang ihm Großes. Heinz Spoerli zählt heute zu den bedeutendsten Choreographen der Zeit. Am 21. März nimmt der Tanzmacher, wie er sich selbst gern nennt, im Essener Aalto-Theater den Deutschen Tanzpreis 2009 entgegen.
Der internationale Durchbruch kam mit "La fille mal gardée", Jean Daubervals komödiantische Ballettpantomime aus der Zeit der Französischen Revolution. Spoerli setzte sie mit leichter Hand 1981 für die Pariser Oper in Tanz um.
Auch die Deutsche Oper am Rhein holte sich den heiteren Abend 1989 ins Haus - und kurz darauf den Schweizer selbst als Chef des Balletts Düsseldorf-Duisburg. "Es war eine sehr fruchtbare, spannende Zeit", erinnert sich der 68-Jährige im Gespräch mit unserer Zeitung. Er schuf Werke wie das Bach-Ballett "Goldberg- Variationen" und "Sommernachtstraum".
Neben der Freude an der Arbeit mit einer großen Compagnie machten ihm aber die Schatten der Vergangenheit zu schaffen: "Es war ein schwieriger Übergang nach Paolo Bortoluzzi im Nachhang der Walter-Ära", erinnert sich Spoerli, "Erich Walter war ein großer Choreograph und wurde in Düsseldorf sehr verehrt. In eine neue Ära zu gehen, ist nie einfach". Heinz Spoerli blieb fünf Jahre, dabei hätte man ihn im Rheinland gerne behalten.
Er hatte eine technisch brillante Compagnie mit internationalem Ansehen aufgebaut. Doch 1996 zog es den neoklassischen Tanzkünstler zurück in die Schweiz, zum Züricher Opernballett, das er ebenfalls zu einem Spitzenensemble machte. Formenreichtum und Virtuosität sind die Markenzeichen eines Spoerli-Balletts. Zwar lässt auch der Mozart-Abend "Eine lichte, helle, schöne Ferne" mit seinen gigantischen Mozartkugeln auf der Bühne schmunzeln, doch verschwindet das Humoristische allmählich aus dem Werk.
Heute geht es Spoerli darum, "Musik zu visualisieren". "Humor gilt heute als leichte Muse", weiß der Geschichtenerzähler. "Die Leute wollen höchstens noch heitere Kurzballette sehen. Crankos ’Der Widerspenstigen Zähmung’ wäre heute fast nicht mehr machbar. Die Leute erwarten mehr, sie wollen es saftiger". Saftiger? "Die Bühne muss voll sein", sagt Spoerli, "heute ist es die ganze Compagnie, die eine Idee, ein Stück, eine Inspiration präsentiert. Es sind nicht mehr die Hauptrollen".
Eine Entwicklung, die der Choreograph bedauert. Denn sie geht einher mit einem weiteren Phänomen: Dem Sterben der Primaballerina. " Es ist schwierig geworden, eine tolle Ballerina zu finden", klagt Spoerli, dessen Instinkt für Tänzertalente berühmt ist. Ein Wandel habe sich vollzogen. "Die Liebe zum Tanz, die Hingabe an den Beruf, das ist verloren gegangen". Heute habe die Frage, was eine Tänzerin macht, wenn sie 30 Jahre alt ist, eine andere Dimension gewonnen. "Dabei ist eine Ballerina zwischen 26 und 35 Jahren erst reif. Früher eröffneten viele Tänzerinnen nach ihrer Bühnenzeit ein Ballettschule.
Heute hören sie früher auf, um eine Familie zu gründen oder eine weitere Karriere zu planen. Selbst das Royal Ballet in London und die Pariser Oper haben Nachwuchsprobleme", bedauert Spoerli. Um die Tanzkunst zu fördern, hat Heinz Spoerli nicht nur eine Juniorcompagnie in Zürich durchgesetzt. 2000 gründete er eine "Foundation Heinz Spoerli", die Personen und Projekte auszeichnet, die "allgemein einen Beitrag zur Erhaltung der Kunstform des Tanzes" leisten. Ist Tanz denn eine bedrohte Art? " Nein, der Tanz geht immer weiter", ist der Ballettschöpfer sicher.
Bedroht seien der Erhalt der klassischen Form und die Hervorbringung guter Tänzer. "Pina Bausch wäre nie so bedeutend, wenn sie nicht so gute Tänzer hätte. Einmal muss man das ABC lernen, ob in Chinesisch, Spanisch oder Deutsch", weiß Spoerli, "die Leute wollen heute schnell, in drei Jahren, Ballett lernen. Tanz ist aber eine Entwicklung über viele Jahre. Es ist wichtig, dass der Körper bei der Ausbildung keinen Schaden nimmt."
Zu den Preisträgern der Stiftung zählt auch Spoerlis ehemaliger Baseler Startänzer Martin Schläpfer, der im Herbst die Ballettdirektion der Rheinoper übernimmt. Schläpfer hält auch die Laudatio bei der Vergabe des Tanzpreises. Kann man auf ein Spoerli-Ballett in Düsseldorf-Duisburg hoffen? Spoerli: "Bisher ist nichts geplant. Aber ich wäre natürlich offen".