Die ungezähmte Tigerin
Die Künstlerin Birgit Ziegert hat das Down-Syndrom und stellt derzeit in der Kunsthalle Schirn aus.
Frankfurt. Birgit Ziegert ist gefährlich - wie ein Tiger. Sagt sie zumindest von sich selbst. Ist das eine dramaturgische Übertreibung? Bei Künstlern soll so etwas ja vorkommen. Denn allzu bedrohlich sieht die 44-Jährige mit den kurzen brauen Haaren nicht aus, wenn sie lachend im Atelier Goldstein im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen sitzt und malt.
Farbkleckse auf dem karierten Hemd, die Finger bunt von der Ölkreide, wacher Blick durch die dicken Brillengläser: Birgit Ziegert überrascht Menschen gerne, sie hat einen bissigen Humor. Und das Down-Syndrom.
"Birgit ist unberechenbar - im positiven Sinn", sagt Christiane Cuticchio. Die 56-Jährige leitet das Atelier, in dem Ziegert dreimal in der Woche an ihren Bildern, Figuren und Kollagen arbeitet. "Outsider Art" nennt sich die Kunst der Menschen am Rande der Gesellschaft - Behinderten oder Eigenbrötlern. Sie genießt vor allem bei den Kollegen hohen Respekt, es gibt auch spezielle Sammler.
"Outsider-Kunst ist sperrig", sagt Cuticchio. "Sie ist nicht leicht zu konsumieren." Anschauen kann ihre Arbeit aber jeder: Die Frankfurter Kunsthalle Schirn zeigt derzeit "Weltenwandler - Die Kunst der Outsider".
Begeistert von deren Werken ist Performance-Künstler Jonathan Meese (40), der selbst kontrovers diskutiert wird. "Diese Typen haben nicht ihr Ich ins Zentrum gestellt. Sie haben es einfach passieren lassen - wie atmen und schwitzen", sagt er. Das stehe im krassen Gegensatz zu akademischen Künstlern: "An Kunsthochschulen befindet sich oft ein Zuchtbecken für Zierfische. Diese dienen ihren mickrigen Egos."
Ziegert gestaltet den Auftakt der Ausstellung, riesengroß hat sie am Eingang ihre Kunstwesen, bunte Fratzen von Tieren, direkt auf die Wände gemalt.
Ausstellungen sind nicht neu für die Künstlerin, vor einem Jahr hatte sie sogar eine eigene im Frankfurter 1822-Forum. An mehr als einem Dutzend anderen war sie beteiligt. Egal ob mit Tusche auf Leinwand, als Stickerei oder Textilarbeit, als Draht-Skulptur oder Holz-Figuren in schwarz-weiß - "ihre Arbeiten haben eine wahnsinnige Wucht", schwärmt Cuticchio.
Dass der Zugang manchem Museumsbesucher ein wenig schwerer fällt, ist für die Atelierleiterin kein Problem - im Gegenteil: "Das ist doch geil, wenn es nicht jeder versteht. Es gibt doch nichts Schlimmeres, als immer nur Dieter-Bohlen-Mainstream zu sein."
Ziegert ist als Künstlerin mit Down-Syndrom kein Einzelfall. "Für manche ist dies eine Möglichkeit, sich auszudrücken", sagt Michaela Hilgner vom Deutschen Down-Syndrom Info-Center in Lauf bei Nürnberg. Ihrer Einschätzung nach sind aber nicht überdurchschnittlich viele Betroffene künstlerisch hochbegabt. Etwa 1.000 Kinder mit Down-Syndrom werden jedes Jahr in Deutschland geboren.
Birgit Ziegert ist unermüdlich. Wenn ihre Zeit an dem großen Holztisch im Atelier vorbei ist und sie zurück in ihr Wohnheim gefahren werden soll, zögert sie den Aufbruch geschickt noch ein bisschen hinaus: "Nur noch den Schwanz vom Tiger" wolle sie malen.
Sie geht langsam, sie kann nicht so gut sehen. Vor einem Jahr war sie beinahe blind, dank einer Hornhaut-Transplantation geht es ihr besser. Für das zweite Auge wartet sie noch auf einen Spender. Der Witz geht ihr unterdessen nicht verloren. Als sie in der Kunsthalle gemalt hat, wollte ein Fernsehteam dabei sein. Die Künstlerin fand die Fragen der Redakteurin aber unpassend und beschloss, unpassende Antworten zu geben: "Ich kann auch Marathon laufen."