Packend „Die Welt im Rücken“: Uraufführung als Höllenritt

Wien (dpa) - Es fängt so harmlos an. Im gepflegten sandfarbenen Textilensemble erzählt das „Ich“ von seinen vordergründig so lustig erscheinenden Psycho-Abenteuern.

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Sex mit Madonna, eine Begegnung mit dem toten Picasso, ein Treffen mit dem ebenfalls toten Thomas Bernhard im Wuppertaler Bahnhofs-Fastfoodlokal. Das Licht im Zuschauerraum des Wiener Akademietheaters ist zu Beginn fast genauso hell, wie das auf der Bühne. Noch leben Publikum und der Irre in einer Welt. Das ändert sich.

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„Die Welt im Rücken“, der Erfolgsroman des Bonner Autors Thomas Melle über seine manisch-depressive Störung, wird auch als Bühnenstück zum Höllenritt durch die Seele eines abwechselnd von zügelloser Hochstimmung und nachtschwarzer Verzweiflung gequälten Menschen.

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Die Uraufführung des fast dreistündigen Ein-Personen-Stücks geriet am Samstag in Wien zum Triumph für alle Beteiligten. Das Premierenpublikum zeigte sich begeistert und erhob sich von den Plätzen, als Melle die Bühne betrat. Der Jubel galt auch Joachim Meyerhoff als „Ich“ und seinem überragenden Spiel. Regisseur Jan Bosse hat die 350-Seiten-Autobiographie, die 2016 auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis stand, zu einem höchst intensiven Erlebnis verdichtet. Auch dank eines stimmigen Bühnenbilds (Stéphane Laimé), bei dem eine Tischtennisplatte und später ein schwebendes Hirn eine zentrale Rolle spielen, entwickelt das Stück eine Sogwirkung.

„Das heute Abend wird wohl etwas anstrengend“, warnte Meyerhoff das Publikum gleich zum Auftakt. Noch sortiert schildert der 49-jährige Burgschauspieler als „Ich“ nicht nur die imaginierten Treffen mit wichtigen Künstlern dieser Welt, sondern auch die Schattenseite seiner Störung. Er hat während eines manischen Schubs alles verkauft, was im lieb war. Seine Bücher (seine „Welt im Rücken“), seine Platten, seine Kleider. Sofortiges planloses Umsetzen von Ideen und Wünschen - ohne Rücksicht auf Verluste - ist ein Zeichen der wohl genetisch bedingten Erkrankung. Das Normalmaß ist nur eine Episode.

Dann wird es dunkel im Zuschauerraum und der gerade noch so freundliche Meyerhoff steigert sich in Raserei. Er sucht blutend und schreiend den Weg zu einer Party, will Autokennzeichen auf einem Parkplatz auf ihre verborgenen Botschaften hinterfragen, macht mit einem Kopierer Bilder von seinen Körperteilen, heftet sie zu einem eindrucksvollen Leidensbild an die karge Bühnenwand und fühlt sich als Messias mit einer Dornenkrone aus Klebeband und Tischtennisbällen. Es ist aber nicht nur ein Irre-Sein in der Welt, immer wieder blitzt auch das Irre-Werden an der Welt auf. „Aus euren Blicken bau' ich mir ein Haus“, meint das „Ich“ frech.

Freche Provokationen muss sich auch mancher Zuschauer in der ersten Reihe gefallen lassen - zur Demonstration der ungenierten Direktheit des Manikers. Das Normalmaß ist für Meyerhoff ohnehin nicht unbedingt die alleinige Messlatte im Leben. „Es gibt für uns alle Gründe sonder Zahl, zornig, traurig oder verzweifelt zu sein. Aber man muss wegdrücken, ausblenden und verdrängen können, um nicht durchzudrehen. Nur dann kommt es zu jener Grundsedierung, die Normalität heißt“, sagte er im Interview. Er ist als Kind in einer Psychiatrischen Anstalt aufgewachsen, weil sein Vater dort Direktor war und die Familie dort lebte.

Bosse, der schon oft mit Meyerhoff zusammengearbeitet hat, hat mit dem Saarländer die Idealbesetzung gefunden. Er wollte eine „archaische Geschichte“ anhand einer persönlichen Biografie erzählen, sagte Bosse. „Etwas stimmt nicht“, ist der Satz, den Meyerhoff alias Melle gehört hat, als seine Freunde seine Krankheit bemerkten. Da dachte er selbst noch: „Etwas stimmt nicht - aber mit der Welt.“ Später denkt er an Selbstmord.

Am Ende kriecht Meyerhoff in einem riesigen hirnartigen Etwas herum, sucht seinen Weg, am besten einen Ausweg. Dabei hat er vieles gar nicht erzählt, wie er zugibt. Die Sache mit den Rechnungen, den Schulden und der Obdachlosigkeit durch sein in euphorischen Phasen zügelloses Leben. „Es gibt kein Krankheitsbild, das in so kurzer Zeit soviel Wirbel, Aufruhr, Chaos, soviel Skandale, Kummer, Sorgen, zwischenmenschliche, gesellschaftliche, berufliche und finanzielle Belastungen auslösen kann wie die Manie“, wird der Ravensburger Psychiatrieprofessor Volker Faust im Programmheft zitiert.

Seit kurzem hat Melle dank der Ärzte sein Leben im Griff. Die Angst vor dem Absturz bleibt.