„Emergency Entrance“: Theater-Festival in Graz
Theater zwischen Dokumentation, Kunst und Politik: Das Thema Migration steht im Zentrum eines europäischen Projekts, das jetzt in Graz mit einem Festival seinen Höhepunkt findet.
Graz (dpa) - Zwei Rumänen, die sich als Frauen verkleiden, um für lächerlichen Lohn als Dienstmädchen zu arbeiten. Eine junge Frau aus Bulgarien, die vor Armut flieht und zur Prostitution gezwungen wird. Eine imaginäre Roma-Konferenz in Tschechien.
Mit dem aktuellen politischen Thema Migration beschäftigen sich die Teilnehmer des internationalen Theaterprojekts „Emergency Entrance“ („Noteingang“). Das gleichnamige Festival, das am Donnerstag in Graz beginnt, ist auch das Finale des Projekts. Das Festival ist ein wahrer Theater-Marathon mit neun Inszenierungen aus sechs Ländern an vier Tagen.
Mit dabei sind die Nationaltheater aus Prag, Athen und Tel Aviv, sowie Bühnen aus Palermo, Cluj und Graz. Inhaltlich geht es um die „Tragödien von heute“, wie es in der Programmzeitung heißt: Flüchtlinge und ihre Schicksale stehen im Zentrum der Produktionen. Ins Leben gerufen haben das Projekt die Grazer Schauspielhaus-Intendantin Anna Badora und Dramaturgin Regina Guhl.
Den Anstoß für das Projekt gaben die dramatischen Bilder von der Flüchtlingstragödie auf der Mittelmeer-Insel Lampedusa. Für Badora, die das Haus seit 2007 leitet, stellte sich sofort eine Frage, die sie dokumentarisch auf die Bühne bringen wollte: „Was gehen uns im friedlichen Österreich zum Beispiel die Flüchtlinge an den Außengrenzen des Schengen-Raums an? Sollen doch die Griechen und die Italiener die schmutzige Arbeit an den Mittelmeerküsten tun. Aber Europäer in "geschützten Grenzen" wollen wir alle gern sein.“
Schnell wurde ein internationales Projekt im Rahmen der Europäischen Theaterunion daraus, das auch von der EU unterstützt wurde. Die Teilnehmer einigten sich auf einige gemeinsame Prinzipien in Handwerk und Herangehensweise: Die Stücke sollten selbstrecherchierte Themen behandeln, die Recherche sollte Teil der Arbeit werden und die Motive sollten mit Mitteln des dokumentarischen Theaters umgesetzt werden.
So entstanden in den sechs beteiligten Häusern eigene Projekte, die, wie Dramaturgin Guhl erzählt, „eine starke Eigendynamik entwickelt haben, weil die Teams mit hohem Engagement und Überzeugung herangegangen sind“. Experiment und Witz, stille Erzählung oder schrille Groteske - die Truppen fanden für ihre Themen ganz unterschiedliche Sprachen, beschreibt Guhl. Und sie suchten auch jeweils die Auseinandersetzung mit dem Publikum.
Das Grazer Projekt mit dem Titel „Boat People“, dem eine Recherchereise des Grazer Teams nach Lampedusa vorausging, fand bei der Premiere im Mai starke Aufmerksamkeit weit über die Region hinaus. In einer scharfen Satire nahm die Inszenierung die EU-Asylpolitik aufs Korn - und im nachfolgenden Publikumsgespräch wurde oft lange diskutiert. „Das gab engagierte Streitgespräche, die weit über eine Stunde dauerten“, erzählt Guhl.
Die anderen Häuser hätten mit ihren Projekten ähnliche Erfahrungen gemacht. Bei gemeinsamen Workshops entwickelten die Teams dann aus den jeweiligen Inszenierungen noch gemeinsame Projekte, die ebenfalls beim Festival zu sehen sind.
Dabei entstand unter anderem die Improvisation „Lost in Translation“, die auch die Sprachverwirrung unter den beteiligten Nationalitäten zum Thema macht und in einer erfundenen Sprache erzählt wird. Beim Festival sollen die Sprachschwierigkeiten allerdings kein Thema werden, versprechen die Veranstalter: Alle Projekte werden mit deutschen und englischen Untertiteln gezeigt.
Für Dramaturgin Guhl liegt der Gewinn des Projekts auf der Hand: „Es ist eine Vielzahl von aktuellen Projekten entstanden, in einer großen ästhetischen Vielfalt.“ Die Produktionen machten deutlich, „wie aktuelle politische Themen auf der Bühne erzählt werden können.“ Das Engagement der Beteiligten habe sich bisher auch jeweils auf das Publikum übertragen, berichtet Guhl. „Alle waren mit viel Herzblut dabei, und alle sind zu einem Abschluss gekommen, sogar die Griechen, trotz Krise. Die sind zwar zwischendurch aus der Kurve geflogen, aber beim Finale jetzt sind sie wieder dabei.“
Intendantin Badora beschreibt die Erfahrungen als „Entdeckungsreise, eine große Freude und eine Horizonterweiterung für die Theaterleute wie für die Zuschauer“. Die in Polen geborene Theaterleiterin ist, wie sie sagt, „zutiefst von der Wichtigkeit eines künstlerischen Austausches zwischen den Nationen überzeugt“. Mit dem Ergebnis ist sie glücklich: „Die jungen Künstler des Projektes haben ein frisches, freches und unakademisches Verständnis von politischem Theater.“