"Emilia Galotti" auf sieben Bühnen in NRW: Lessing ist wieder modern
Sieben Bühnen in Nordrhein-Westfalen zeigen Lessings „Emilia Galotti“. Warum? Nicht nur wegen Liebe, Treue und Toleranz.
Düsseldorf. Das Zentralabitur macht es möglich. Allein in NRW kann man zur Zeit in sieben Theatern - Bonn, Köln, Mönchengladbach, Duisburg, Düsseldorf, Essen, Bochum - eine Inszenierung von Lessings "Emilia Galotti" sehen. Die Deutschlehrer grollen, weil das Ministerium ihnen den geliebten "Nathan" vom Schulplan genommen hat. Die Schüler müssen sich mit der Moralkeule eines selbst vor Mord nicht zurückschreckenden Vaters auseinandersetzen. Den Schwarzen Peter aber haben die Regisseure bekommen, die ein hochkomplexes Stück aus der Vergangenheit gegenwärtig machen sollen.
Die Theater bemühen sich, das Stück in thematische Zusammenhänge einzubauen. Da wird von "Gewalt heute" gesprochen, von den "Ehrenmorden" oder von dem Gegensatzpaar Hedonismus (Prinz) versus Rigorismus (Vater). All das macht es aber kaum verständlicher, warum eine junges Mädchen ihren Vater bitten sollte, sie zu töten, weil sie Angst davor hat, der Verführung nicht widerstehen zu können.
Alles hängt an der Beziehung Emilias zum Prinzen. Warum sollte eine junge Frau Augen und Ohren verschließen, wenn ihr ein schöner Prinz leidenschaftlich den Hof macht? Schon Friedrich Hebbel hatte in seinem Tagebuch 1839 angemerkt, dass sich Emilia durch das Werben geschmeichelt fühlt und Emotionen in ihrer Brust entdeckt, die ihr der brave Appiani nicht vermittelt hat.
Auf dieser Schiene bewegen sich die heutigen Inszenierungen. Die Moralität wirkt vorgeschoben, aufgesetzt, künstlich. Der Prinz ist kein verruchter Lüstling, sondern ein netter junger Mann, der seinen Spaß haben will. Die Intrigen Marinellis werden zum Salz einer oft quirligen Komödie, während die Ansprüche des Vater mitunter zu den Marotten eines Psychopaten mutieren.
In moderne Kostüme gehüllt, wirken die Charaktere Lessing erstaunlich aktuell. Die Korruption der Mächtigen, das ausgetüftelte Planen von Sexabenteuern, die Ohnmacht der Kleinen kommt einem seltsam vertraut vor. Was aber macht man mit dem Tötungsdelikt? Muss Emilia auch heute noch sterben? Es ist amüsant zu beobachten, wie vielfältig die Regisseure den tragischen Schluss umschiffen. In Essen verkommt der Mord zur rührseligen TV-Soap, in Mönchengaldbach wird er dezent ausgeblendet. Wenn Emilia aber, wie in Bonn, erst vom Prinzen entjungfert und dann vom Vater brutal niedergeschossen wird, steht sie einfach wieder auf und verlässt gelangweilt die Bühne, so als könnten die Herren sie gar nicht meinen.
Gotthold Ephraim Lessing: Über 20 Jahre hat er am Trauerspiel "Emilia Galotti" gearbeitet, die Uraufführung war 1772 in Braunschweig. Das Stück sollte durch die tragische Erregung von Furcht und Zittern den gesellschaftlichen Riss zwischen Bürgertum und Adel versöhnen.
Handlung: Der anständige Graf Appiani will sich mit der frommen Bürgertochter Emilia Galotti vermählen, doch hat der lasterhafte Prinz sie im Visier. Um sie in seine Gewalt zu bringen, hetzt er seinen Kammerherrn Marinelli auf die beiden. Der Graf wird skrupellos ermordet, Emilia entführt. Dem Vater wird durch die letzte Geliebte des Prinzen, Gräfin Orsina, deutlich, welch Schicksal seiner Tochter bevorsteht. Auf eigenen Wunsch hin tötet er sie.