Eric Gauthier lässt seine Tänzer los
Stuttgart (dpa) - Tänzer tanzen nach ihren eigenen Vorstellungen. Dieses Experiment der Ballettgruppe Gauthier Dance ist am Samstagabend nicht nur auf Zustimmung gestoßen. Doch am Ende hat eine Ballettlegende die Zuschauer begeistert.
Für den englischen Ausdruck „Out of the Box“ gibt es mehrere Übersetzungen. Zunächst bedeutet das „abseits des Gewöhnlichen“. Das erklärt einen großen Teil des Konzepts für den Ballettabend am Samstagabend im Stuttgarter Theaterhaus. Die neun Choreographien sind „Out of the Box II“, allein schon deshalb, weil fünf von ihnen von den Tänzern des Ensembles Gauthier Dance selbst stammen. Vier weitere Beiträge hat Leiter Eric Gauthier beigesteuert. Auch wenn das Publikum einige der Miniaturen eher höflich aufnahm - am Ende würdigte es das Tanzexperiment mit langem Applaus.
Den ersten Beifall gab es bereits, bevor ein einziger Fuß über die schwarze Bühne tanzte. Zu Beginn trat Gauthier vor das Publikum und erklärte, dass die Finanzprobleme des Ensembles vorerst überwunden seien.
Danach begann der abwechslungsreiche Abend. Die Palette reichte von dem japanisch angehauchten „Akari“ mit einer wie in Zeitlupe über die Bühne gehobenen Tänzerin über das Solostück „A Single Man“, bei dem der hektische Tanz einer verlorenen Bürofigur in Rauschen und Surren endete, bis hin zur Paar-Geschichte „Tight Spaces“, in der die Tänzer immer wieder versuchen, durch zwei große, mit Stoff bezogene Wände aus der Enge ihrer Beziehung auszubrechen.
Die Idee zu diesem Mini-Drama stammte von dem Tänzer Armando Braswell. Er steuerte mit „Three Little Pigs“ noch ein weiteres Stück bei, inspiriert vom Märchen über den Wolf und die drei kleinen Schweinchen. Es geriet jedoch klamaukig und etwas lang. Feinen Humor zeichnete dagegen „Rouge Lippen Fish“ aus, in dem der erst 21-jährige Garazi Perez Oloriz der Gedankenwelt von Fischen nachspürte.
Mit einem weiteren Stück kam das Ensemble Filmemacher Wim Wenders zuvor. Während dessen Film über die Choreographin Pina Bausch erst für Februar als erster 3D-Ballettfilm angekündigt ist, war am Samstag „Threesome 3D“ zu sehen - das erste Tanzstück aus Deutschland, das mit dem räumlichen Projektionsverfahren auf Leinwand gebannt wurde. Auch für dieses Experiment gab es große Anerkennung, ähnlich wie für das Stück „Bang“ mit Schlagzeug und kleiner Rap-Einlage.
Für viele Zuschauer markierte jedoch der Schluss auch den Höhepunkt des Abends. Der 68-jährige Tanz-Star Egon Madsen, der genau wie Gauthier im kommenden Jahr den Deutschen Tanzpreis erhalten wird, zeigte zusammen mit dem Frankokanadier ein intimes Erinnerungsstück an den Stuttgarter Ballett-Heroen John Cranko. Begleitet von Cranko-Pianist Francis Rainey sahnte „Dear John“ den deutlich stärksten Applaus des Abends ab. Damit wurde eine weitere Bedeutung der Redewendung „Out of the Box“ deutlich: In Australien steht sie umgangssprachlich für „hervorragend“.