Hauptmanns „Die Ratten“ in Köln: Eine Arena der sozialen Missstände
Lina Beckmann spielt in Köln Hauptmanns „Die Ratten“.
Köln. Der Charme ist spröde. Neben der Halle Kalk dient die innerstädtische Expo XXI dem Schauspiel Köln als Ausweichspielstätte während der derzeit laufenden Sanierung. Ein Veranstaltungsbau ohne Atmosphäre trotz des alten Gemäuers, in dem jetzt Gerhart Hauptmanns Tragikomödie „Die Ratten“ Premiere feierte.
Lina Beckmann spielt die Berliner Kodderschnauze Frau John, die der jungen Polin Pauline Piperkarcka (hochdramatisch: Lena Schwarz) ihr Baby abschwatzt, die leibliche Mutter umbringen lässt und — als alles bekannt zu werden droht — ihrem Leben selbst ein Ende setzt.
Beckmann im dunklen Kittelkleid entwickelt zwar bodenständige und aggressive Durchschlagskraft, doch die Figur bleibt merkwürdig unentschieden. Das hat seinen Grund in dem Akzent, den Regisseurin Karin Henkel auf das Spiel des Theaters selbst legt. Schon zu Beginn treten die Figuren wie eine billige Komödian-tentruppe auf. Die Bühne von Jens Kilian mit einem manegeartig erhöhten Steg vor einer Black Box mit Lamellenwänden verstärkt den Eindruck.
In dieser Arena führt der abgehalfterte Theaterdirektor Hassenreuter (Yorck Dippe) das alles inszenierende Wort, gibt jedem Szenenanweisungen und seiner Tochter Haltungsnoten, wenn er sie prügelt. Der Zwist um Klassiker und Naturalisten zwischen ihm und dem spuckenden Möchtegernschauspieler Spitta (Jan-Peter Kampwirth) wird zur Hauptsache: Die Frage, wie soziale Missstände, und damit Hauptmanns „Ratten“ selbst, darstellbar werden, wenn alles nur Zeichen und Pose ist.
Der psychologisch gespielte Streit zwischen Frau John und ihrem Mann am Ende gerät dann kurioserweise trotzdem zum intensivsten Moment des Abends: Wie Lina Beckmann sich hier windet, wie sie säuselt und brüllt, um die Wahrheit zu verschleiern, wie Bernd Grawert motzt, nachbohrt, auftrumpft — das ist große Schauspielkunst. Auch wenn unklar bleibt, was die Regie über die Zeichen- und Zitathaftigkeit allen Theaters hinaus eigentlich erzählen will.