Intendantin Amélie Niermeyer: „Zuschauer haben Vertrauen“
Interview: Amélie Niermeyer, seit einem Jahr Intendantin in Düsseldorf, über Erfolge und Rückschläge am Schauspielhaus.
Düsseldorf. Frau Niermeyer, Sie sind jetzt seit etwas über einem Jahr Intendantin in Düsseldorf. Wie fällt Ihre persönliche Bilanz aus?
Niermeyer: Das ist schwer in zwei Sätzen zusammenzufassen. Die Zahlen sind super. Wir haben 20 Prozent mehr Zuschauer und 20Prozent mehr Abonnenten. Die guten Zahlen steigen in dieser zweiten Spielzeit noch weiter, obwohl wir mit "Libussa" und "Ein Fest für Boris" eher unbekannte Titel im Großen Haus spielen.
Wie erklären Sie sich das?
Niermeyer: Wir haben es offenbar geschafft, dass die Zuschauer ein gewisses Vertrauen haben, dass sie kommen, auch wenn sie den Text oder den Regisseur nicht kennen.
Sehen Sie denn irgendwo Nachholbedarf?
Niermeyer: Wir sind mit den künstlerischen Ergebnissen im Kleinen Haus noch glücklicher als im Großen. Das liegt nicht daran, dass die Regiekonzepte falsch waren oder wir nicht die richtigen Stoffe gefunden hätten, aber nicht jede Arbeit kann immer hundertprozentig aufgehen. Wir haben bisher in dieser Spielzeit auch im Großen Haus wunderbare Kritiken bekommen...
...außer bei Ihrer Inszenierung von "Käthchen von Heilbronn"?
Niermeyer: Es gab auch beim "Käthchen" gute Kritiken, ich habe gerade heute in "Theater heute" eine sehr schöne gelesen. Im ersten Teil der Inszenierung sehe ich selbst noch Verbesserungsmöglichkeiten. Mit dem zweiten Teil bin ich sehr zufrieden. Da ist das aufgegangen, was wir bei den Proben entwickelt haben.
Wie viel Zeit bleibt als Intendantin noch zum Inszenieren?
Niermeyer: Ich inszeniere als regieführende Intendantin maximal zwei Produktionen pro Spielzeit. Ich möchte genug Zeit für die Leitungsaufgaben haben. Kollegen an anderen Häusern machen drei oder vier Regiearbeiten. Vielleicht wird es im nächsten Jahr hier am Haus nur eine Inszenierung sein, weil ich es wichtig finde, dass ich als Regisseurin auch einmal im Jahr woanders arbeite.
Sieht das Publikum Düsseldorf in den Themen gespiegelt?
Niermeyer: Die Diskussion um "Besuch der alten Dame" (wo Güllen zu Düsseldorf wurde, Anm. d. Red.) fand ich am spannendsten. Die Inszenierung spaltet in Hasser und Befürworter. Die Inszenierung ist für die Stadt gedacht, und es gab durch diese Spaltung hier die größte Resonanz bei den Zuschauergesprächen. Viele Düsseldorfer erkannten sich am ehesten in den "Buddenbrooks" wieder. Bei "Kommt ein Mann zur Welt" war es optimal: Das Stück ist für Düsseldorf entwickelt worden.
Das Central am Hauptbahnhof mit Probe- und und Aufführungsbühne wird mit erheblicher Verzögerung eröffnet. Wie sehr sehen Sie sich von der Stadt unterstützt?
Niermeyer: Die Verzögerung will ich nicht der Stadt vorwerfen, es liegt nicht daran, dass die Stadt den Ort nicht will. Die Verantwortlichen haben das Produktionszentrum ja erst ermöglicht. Die Verspätung bringt für uns aber erhebliche Probleme bei den Probenabläufen. Die Arbeitsbedingungen sind zur Zeit sehr schwierig.
Sie haben bei einer Kritikerumfrage vier von neun möglichen "Zitronen des Jahres" bekommen, hat Sie das gekränkt?
Niermeyer: Mich hat gekränkt, dass die Umfrage, bei der wir super abgeschnitten haben und 25 positive Nennungen hatten, in sieben Kategorien dreimal die besten waren, so falsch kolportiert wurde. Die Schlagzeile "Zitrone des Jahres für Düsseldorf" hat mich erschreckt und gezeigt, was da für ein Klima herrscht.
Vermissen Sie die anderen Sparten, die Sie in Freiburg hatten?
Niermeyer: Ich liebe das Musiktheater. Das hat nicht nur mit Freiburg zu tun. Ich kann mir auch vorstellen, dass ich selbst eine Oper inszenieren werde.
An der Rheinoper?
Biografie Amélie Niermeyer wurde am 14. Oktober 1965 in Bonn geboren. Nach dem Abitur erwarb sie in St. Louis/USA ein Hochschuldiplom und war bereits mit 25 Hausregisseurin am Staatstheater München, mit 30 avancierte sie zur Oberspielleiterin in Frankfurt. 2002 wurde die damals 36-Jährige Chefin in Freiburg und war damit die jüngste Generalintendantin einer deutschen Bühne.