Ballettpremiere: Tanz der biegsamen Florette

Zur ersten Ballettpremiere an der wiedereröffneten Rheinoper war der preisgekrönte Choreograf Jirí Kylián geladen.

Düsseldorf. Wieso Mozart? Beging der Meister aus Österreich nicht vergangenes Jahr seinen 250. Geburtstag? Jirí Kylián, der sich auf Mozart versteht, feiert in diesem Jahr seinen 60. Geburtstag. Also heißt es: "Mozart? Mozart!" zur ersten Ballettpremiere der Spielzeit an der Rheinoper als Hommage an einen der großen Choreografen der gegenwärtigen Tanzgeschichte. Mit Petr Zuska, Ballettchef am Prager Nationaltheater, gestaltet ein weiterer Tscheche das dreiteilige Programm.

Sein "Requiem" (2006) eröffnete den Abend im Opernhaus. Das Ballett zum gleichnamigen Opus magnum will nicht Totenmesse sein, sondern Metapher des Daseins. Auch musikalisch reicht es in die heutige Welt: Der zeitgenössische Schweizer Komponist Richard Rentsch ergänzte die Teile, die Mozart nicht mehr vollenden konnte. Mit tiefem Ernst entwirft der Tscheche seine Vision von der ewigen Wiederkehr im schwarzen Guckkasten. Vier Paare - die Männer in Derwisch-Röcken, die Frauen in Trägerkleidern (Kostüme: Keso Dekker) - wirbeln als Menschheit in weit ausholenden Schwüngen, dynamischen Sprüngen und Hebungen vorbei, während eine kleine Familie Individualität verkörpert.

Der Junge trägt ein Mozart-Kostüm, die Mutter (Eriko Yamashiro) ein zeitloses Kleid, derweil der Vater (Valerio Mangianti) im unpassenden Netzhemd irritiert. Ein verhülltes Objekt, das an einen aufgebahrten Sarg erinnert, dient ihnen als Refugium. Erst beim Lacrimosa, wenn mit Anbruch der modernen Zeiten weiße Vorhänge fallen, wird ein gläserner Flügel enthüllt. Ein Requisit, das arg strapaziert wird. Den Menschen, nun in Silbergrau, scheint er Heiligtum. Sie betanzen ihn, starren ihn an, lehnen sich wie Trost suchend daran.

Mit dramatischen Effekten und Gesten übersetzt Zuska Rentschs vorwärtstreibende Komposition, die nicht nur formal mit Mozart harmoniert. Das Ballett endet, wie es begann - bei Mozart. Und scheitert an ihm. Zuskas konventionelle Klassik und kühle Eleganz werden dieser Komposition, die das Irdische zu überwinden scheint, nicht gerecht.

Was ein Ballett vermag, wenn ein Choreograf in Mozart hinein horcht, zeigt Kyliáns "Petite Mort" (1991). Sechs Männer, sechs Frauen und sechs Florette bevölkern den Kosmos, den die langsamen Sätze aus den Klavierkonzerten A-Dur und C-Dur (sensibles Klaviersolo: Cécile Tallec) entwerfen. Die Männer in fleischfarbener Unterwäsche demonstrieren Männlichkeit, Kraft und Eros, wenn sie mit den Klingen umspringen, als wären sie Geliebte.

Doch das zur Umarmung gebogene Florett gibt den Macho auch der Lächerlichkeit preis. Und die Frauen, die hinter Reifröcken auf Rollen stehen, offenbaren ihr wahres Wesen, wenn sie dahinter hervortreten - in Dessous. Über dieser Selbstironie scheint Mozart wie ein wohlmeinender Vater zu lächeln. Die Verrenkungen und Schnörkel, die Kylián in seine einfallsreiche Formensprache integriert, verweisen auf die Unzulänglichkeiten des Menschen. Im Tanz leben die Figuren Stolz, Freude, Lust und Verwundbarkeit aus. "Petite Mort", auf französisch "Orgasmus", scheint der übermütige Nachhall einer Erregung.

Turbulenter noch geht es in "Sechs Tänze" (1986) zu Mozarts gleichnamiger Komposition zu. Vier Paare, weiß geschminkt und gepudert, tollen in bizarren Bewegungen über die Bühne - als hätte Kylián eine Dienerschaft aus dem 18. Jahrhundert bei einem frivolen Stelldichein erwischt.

Jirí Kylián Geboren in Prag, Studium am Konservatorium und an der Royal Ballet School London.

Engagements Stuttgarter Ballett unter John Cranko, wo 1970 die erste Choreografie entsteht. Seit 1975 dem Nederlands Dans Theater (NDT) verbunden, bis 1999 als Direktor und seither als ständiger Choreograf und Berater. Mit seinen Werken machte Kylián das NDT zu einem weltweit gefeierten Ensemble.

Auszeichnungen Kylián ist u.a. Offizier des königlichen Ordens von Oranje-Nassau, Officier des Arts et Lettres, zweimaliger Träger des Prix Benois, dreimaliger Preisträger des Nijinsky-Awards.