"Nibelungen"-Inszenierung: Die Braut sinnt auf Rache
Die neue Intendantin Karin Beier startet in Köln mit einer beeindruckenden Inszenierung von Hebbels „Die Nibelungen“.
<strong>Köln. Karin Beier kommt mit offenem Visier. Als Auftakt ihrer Intendanz im Kölner Schauspielhaus zeigt sie ihre Sicht auf Friedrich Hebbels "Die Nibelungen" und führt gleich am ersten Abend selbst vor, was sie sich unter dem angekündigten "Kölntheater" in "einer Stadt von Weltbürgern" vorstellt. Ein urdeutscher Stoff, dem sie mit Humor jede heimatfrömmelnde Schwere nimmt. Ein Trauerspiel, in dem Liebe und Hass, Treue und Verrat, Eifersucht und Rache Menschen zum Äußersten treiben. Und eine Geschichte, die international betrachtet, unsere Zeit ins Herz trifft. "Peace is our Profession" heißt es auf dem Schild über den Köpfen der Kreuzritter von Burgund. Das Friedensgeschäft gehen die Recken vom Rhein professionell an. König Gunther (Michael Weber) stellt das Personal im feinen Zwirn vor: Hagen Tronje (Michael Wittenborn), teamsicher und ergebnisorientiert, auch "Kulturdezernent" Volker (Robert Dölle), der für das rechte Liedgut verantwortlich zeichnet. Selbstgemachten Kuchen, selbstverständlich ohne Zucker, bietet Kriemhild (Patrycia Ziolkowska) ihrer neuen Schwägerin Brunhild (Maja Schöne) an. Die wilde Braut aus dem Norden streckt hechelnd ihre Zunge raus und dreht in der Hochzeitsnacht einer Puppe, ein doppelter Gunther mit Krone und in Unterhosen, den Hals um, dass dem wahren König die Luft ausgeht. Während Kriemhild "True Love" ins Mikrofon schmachtet, muss sich ihr Liebster Siegfried (Carlo Ljubek) ein zweites Mal in den Dienst der skrupellosen Burgunden stellen. Zu martialischen Rhythmen vergewaltigt er Brunhild, die nun ihren Gatten Gunther als stärksten Mann ansieht. Hinter dem Bügelbrett schwört sie: "Ich bin jetzt sein Weib." Aus Eifersucht deckt Kriemhild die Tat auf, aus Angst um ihren Geliebten vertraut sie Hagen und verrät ihm Siegfrieds verwundbare Stelle - mit dessen Tod beginnt ihr Rachefeldzug. Karin Beier gelingen anrührende Bilder, etwa, wenn Kriemhild ihr Brautkleid über den getöteten, nackt am Boden liegenden Siegfried deckt. Diesen Schmerz verkörpert Patrycia Zielkowska ebenso leidenschaftlich und glaubhaft wie zuvor die Lust. Michael Wittenborn als ihr Gegenspieler Hagen überzeugt mit souveräner Bösartigkeit. Eisern trainiert er auf dem Trimmrad, während "Sauf-Sofa-König-Gunther" sich dem Nichtstun hingibt.
"Die gelbe Gefahr" lauert vor Europas Grenzen
Erst die Einladung zum Hunnenkönig Etzel (Josef Ostendorf) weckt ihn aus seine Langeweile. Er ruft auf zur Mission "Enduring Freedom", die Männer formieren sich, um den, der Gottes Feind ist, zu besiegen. Das Hunnenland verlegt Beier nach Asien, lässt den Spielmann Volker von der "gelben Gefahr" singen, die vor Europas Grenzen lauert. Gerät Gunthers Rede auch zu plakativ, so gibt der Fremdenhass dem Stück brennende Aktualität. Im finalen Kampf finden alle ihren Tod - ob Hunnen oder Burgunden. Nur Kriemhild und Brunhild wandeln weiter - einsam und rachsüchtig. Für die neue Intendantin und ihre Schauspieler gab es jubelnden Applaus, womit in Köln der Start in eine neue Theaterzeit noch nicht beendet war. In der Halle Kalk, die Beier als Spielstätte wiederbeleben will, nahmen sich Tom Kühnel und Jürgen Kuttner mit der Uraufführung von "Fordlandia. Eine Fließbandproduktion" einer Kölner Geschichte an: 1973 streikten türkische Arbeiter. Eine Mark mehr und die gleichen Rechte, wie ihre deutschen Kollegen, forderten sie damals. Mit einem witzig-grotesken Puppenspiel, Unternehmensgründer Henry Ford schwadroniert als verschrumpeltes Männchen, beginnt die Reise durch das industrielle 20. Jahrhundert. Szenen reihen sich zum Teil recht unverbunden aneinander. Komisch wird es, wenn der anatolische Bauer Quinns "Junge, komm bald wieder" auf Türkisch singt oder die Fußbroichs ihre neue Sofagarnitur bestaunen. "Kölntheater" eben."Die Nibelungen"
3,5 Stunden mit Pause, Aufführungen: 17., 23., 27., 28. Oktober, 19.30 Uhr, Karten: 0221/221 28400.
Inszenierung: 4 von 5 Punkten
Schauspieler: 4 von 5 Punkten
Bühne: 3 von 5 Punkten