Ruhrtriennale: Die Courasche in der Lumpenlandschaft
Neufassung des Grimmelshausen-Werks mit mäßiger Regie-Leistung uraufgeführt.
<strong>Duisburg. Alte Kleider türmen sich auf wie Trümmer, dazwischen Schneisen wie Schützengräben. In der Lumpenlandschaft (Bühne und Kostüme: Andrea Uhmann) hausen drei Frauen, zwei jüngere und eine ältere. Sie alle verkörpern die Courasche. Wilhelm Genazino lässt in seinem Auftragswerk "Courasche oder Gott lass nach" für die RuhrTriennale die Titelfigur gleich dreimal - in drei unterschiedlichen Zeitabschnitten - aufmarschieren.
Nicht chronologisch verläuft ihr Weg ins 21. Jahrhundert. Die Reise der unverwüstlichen Marketenderin beginnt im Jetzt. Eine junge Hure (Julischka Eichel) feiert ihr "25-jähriges Kopulationsjubiläum", bevor sie den nächsten Freier empfängt (Daniel Rohr spielt alle Männerrollen). Der Geschlechtsakt verbindet alle drei Szenen des Theaterabends.
Im nächsten Abschnitt sieht man die ältere Courasche (Barbara Nüsse) in Uniformjacke und Stiefeln ihren Körper an einen Soldaten verkaufen - für ein Stück Brot. Auf der Flucht vor den Nazis hat sie alles verloren: Mann, Kind, ein Auge. Nun gibt sie sich hin, weil sie nichts anderes mehr zu geben hat. "Wenn’s bitte ganz schnell geht", fleht sie.
Wiederum eine jüngere Courasche (Anna Franziska Srna) schlüpft in eine Hausmädchenuniform. Der Herr des Hauses lockt sie mit einer eigenen Wohnung, die er für sie gemietet hat. Die Regeln von Handel und Prostitution funktionieren auch hier bestens. Die Zeit hat nichts verändert. Dankbar gibt sie sich ihm hin, träumt davon, dass er seine Frau für sie verlässt.
Alle drei Frauen sind auf der Szenerie ständig präsent, ziehen immer neue Verkleidungen aus dem Haufen, auch Stühle, Fernseher, Rucksäcke. Nur Äußerliches ist ihnen geblieben, der Glaube irgendwo im ewigen Überlebenskampf verloren gegangen. Die Psalmen und Lieder, dargeboten vom Vokal-Ensemble des Philharmonia Chors Wien, klingen hohl in dieser sinnentleerten, vom Todeshauch durchzogenen Trümmerlandschaft.
An die abgehängte Decke projiziert Nives Widauer Videos: Mal spiegeln sie beeindruckend das Geschehene, zeigen eine Welt auf dem Kopf, von einer Kamera im Himmel beobachtet. Mal lässt er abstrakte (Schnee-)Landschaften vorüberziehen und erzeugt so einen Eindruck von Bewegung - wie die Mutter Courage, die mit ihrem Wagen im Kreis zieht.
Die Courasche Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen schrieb 1670 den Roman "Lebensbeschreibung der Erzbetrügerin und Landstörzerin Courasche" als fiktive Autobiografie einer alten Zigeunerin. Sie ist eine der bekanntesten Frauenfiguren der deutschen Literatur.
Die Figur der Courasche Bertolt Brecht ihr sein Theaterstück "Mutter Courage und ihre Kinder", 1941 in Zürich uraufgeführt.