Ruhrtrienale: Existenzen ohne Erlösung
Claus Peymann inszeniert die Uraufführung von Peter Handkes neuem Stück „Spuren der Verirrten“.
Bochum. Ein Festakt soll es werden. Der "Held ohne Gegenspieler" steuert auf seinen größten Triumph zu: endlich alleine die Bühne zu behaupten. Er hat, den Smoking angelegt, das rote Spitzhütchen auf der Glatze justiert, da krakeelt ihm seine Ehefrau dazwischen und lässt den Großmimen lächelnd an der alltäglichen Paarbildung scheitern.
"Und wieder die Gehenden, jeweils zu zweit, als eine Art Paar", so lautet der Beginn von Peter Handkes neuem Stück "Spuren der Verirrten", das jetzt in der Uraufführungsinszenierung von Claus Peymann bei der Ruhrtriennale gastierte. Stück ist eigentlich zu viel gesagt. Plot und Rollen sucht man vergebens. Ähnlich wie in "Die Stunde, da wir nicht voneinander wussten" handelt es sich um einen szenischen Prosatext, der eine Parade sinnsuchender Lebens-Flaneure mit raunenden Fragen zur Zeit, zum Anderen und zum Theater verkoppelt.
Ohne Zuschauer bekanntlich kein Theater, also schlurft zu Beginn Veit Schubert maultrommelnd als Zuschauerpräsident auf die Bühne, im schwarzen Anzug, der verdächtig dem des Regisseurs Peymann gleicht. Er platziert sich am Bühnenrand und setzt das Spiel in Gang.
Drei Paare markieren Wege mit Brotkrumen, Papierfetzen und Metallhütchen. Lastenträger schleichen vorüber und machen sich gegenseitig ihre Last streitig. Ein Liebespaar turtelt, bei der Rückkehr hat das Mädchen einen blutenden Mund. Alle Paare geraten früher oder später in Streit. Am witzigsten die beiden Nachbarinnen (Carmen-Maja Antoni und Ursula Höpfner), die mit Kostüm und Potthütchen sich erst mit dem Messer, dann mit Landkarten bedrohen.
Handkes Figuren sind alle Irrende, hineingeworfen in eine Existenz ohne Plan, ohne Orientierung oder Erlösung. Sinnlos die Versuche, Lebens- oder Erkenntniswege zu markieren. Ödipus als Fifties Rocker ist ganz Reue: "Nie mehr das Orakel befragen! In den Rätseln bleiben!" Schließlich fährt Axel Werner als "Der Dritte", der in Frack, Turnschuhen und Zweispitz wie eine Art Westentaschennapoleon aussieht, dazwischen. Er philosophiert über "den Anderen" und ruft das Ende des "faulen Friedens" aus.
Regisseur Peymann mit seinem untrüglichen Hang zum sozialkritischen Märchentheater nimmt das ganz wörtlich und lässt die bandagierten Versehrten gleich kolonnenweise aus den rautenspitzen Gassen auf Karl Ernst Herrmanns schwarz glänzende Bühnenschräge stiefeln. Verzweifelt formieren sie sich wie auf Richard Oelzes berühmtem Bild "Die Erwartung" zur Gruppe und starren erlösungssüchtig in den Bühnenhimmel des Bochumer Schauspielhauses - bis der Ober-Zuschauer einschreitet: "Keine Tragödien vortäuschen".