Ballet-Premiere in Krefeld: Das Leben als Stafettenlauf mit dem Tod
Robert Norths erste Premiere im Theater Krefeld: „Tempus fugit“ in drei Teilen.
Krefeld. Zeit ist kostbar. So kostbar, dass der Kinderbuchautor Michael Ende ihr in "Momo" ein literarisches Denkmal setzte. Darin drängen die Grauen Herren alle Menschen dazu, Zeit auf einer Zeitsparkasse zu deponieren. In Wahrheit rollen die finsteren Gestalten aus den Blättern der Stundenblumen Zigarren und lassen so das Ersparte in Rauch aufgehen. Ein solcher Zeitdieb ist Robert North nicht. Die beiden Stundenblumen, die seine dreiteilige Ballettpremiere "Tempus fugit" (lat.: die Zeit flieht) am Theater Krefeld kostet, sind nicht verloren.
Robert North leitet nun die Ballettakademie München
Es ist sein erster eigener Abend als Chefchoreograf - und nicht als Ballettdirektor der Vereinigten Städtischen Bühnen Krefeld/Mönchengladbach. Diese Position gab North nach nur neun Monaten zum 1. September wieder auf, um die Leitung der Ballettakademie in München zu übernehmen. Das Publikum am Niederrhein, auch so darf man die Bravi unter dem Schlussapplaus wohl verstehen, nimmt es ihm nicht übel. In "Tempus fugit" fügt der Amerikaner drei frühere Werke zu einem Abend. Dabei gelingt es ihm, über philosophische und poetische Betrachtungen hinaus die Musikalität des Phänomens Zeit im Tanz sichtbar zu machen. In "Tempo" (2005) choreografiert North unbeschwerte Lebensfreude. Leichtfüßig gleiten und springen Tänzerinnen und Tänzer in Ensembles und Duetten durch die Jugend. Das Leben - ein Stafettenlauf. Bei alledem kommt "Tempo" irgendwie bieder daher, was die Einsprengsel barocker Tanzkunst mit ihren Verbeugungen, gespiegelten Schritten und kreiselnden Figuren noch verstärken. Rosa, orange, blau und beige leuchten die Kostüme, sie setzen sich sanft ab von den melancholischen Farben der diversen Instrumentalmusiken Vivaldis. Schmerzhafter als an anderen Ballettabenden wird die Abwesenheit des Orchesters bewusst. Gleiches gilt für "Der Tod und das Mädchen", ein Hauptwerk, das North 1980 für das London Contemporary Dance Theatre schuf. Zu Schuberts Streichquartett d-Moll (Allegro und Andante) macht er aus Matthias Claudius’ allegorischen Versen ein getanztes Gedicht. Zunächst setzt er der dramatischen Wehmut der Musik formstrenge Ensembles - der Tod ist allgegenwärtig im Leben - entgegen, um dann, je mehr er Tod und Mädchen fokussiert, Handlung und Gefühle theatral zu stilisieren - hier macht sich Norths Vergangenheit als Tänzer in Martha Grahams New Yorker Company bemerkbar.Das zentrale Duett von Tod und Mädchen mit bewegender Schönheit
Von bewegender, choreografischer Schönheit aber ist das zentrale Duett von Tod und Mädchen, betörend Elisa Rossignolis ungestümes Aufbegehren, dann das versöhnliche Dahinfließen der Körper. Großes Manko: Gian Luca Multari fehlt es an der nötigen Autorität für den Knochenmann. Aliaksandr Rulkevich hätte sie.