Kachelmann-Stück: Brüchige Wahrheit, kein Skandal
Mannheim (dpa) - Es klingt wie der Versuch eines Bühnenskandals: Ein Mannheimer Theater bringt den spektakulären Prozess gegen den Wettermoderator und Meteorologieunternehmer Jörg Kachelmann auf die Bühne.
Der Schweizer mokiert sich („provinzielle Kleinkunstwelt“), die „Bild“-Zeitung berichtet, und auch Thomas Gottschalk versucht zu lästern („das braucht kein Mensch“). Soweit also alles im Plan für einen kleinen Skandal.
Am Samstagabend, ein knappes Jahr nach dem Freispruch für Kachelmann, hatte das Werk „Kachelmanns Rashomon“ Premiere. Das „Theater Felina Areal“ ist kleiner als der Saal 1 des Mannheimer Landgerichts, in dem gegen Kachelmann verhandelt wurde - die Anklage, nur zur Erinnerung, lautete auf Vergewaltigung. Genau 61 Zuschauer passen in den Raum, darunter einige Journalisten, die Tickets sind ausverkauft. „Ich bin jetzt nicht so der Boulevardmensch“, sagt der Autor und Regisseur Sascha Koal, „deshalb hat mich der Hype etwas überrollt.“
Im Gerichtssaal hatte sich Koal den Prozess nicht angeschaut - sonst hätte er vielleicht geahnt, dass es jedes Bühnenstück schwer haben würde gegen die Realität, so lange es nicht einen grundsätzlich anderen Zugang sucht. Die beiden Darsteller Sarah Gros und Dirk Mühlbach stellen in den rund anderthalb Stunden eine Vielzahl von Rollen dar: Den „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann und seine Kolumnistin Alice Schwarzer, eine Gutachterin vor Gericht, den sich selbst reflektierenden Theaterautor - und immer wieder Kachelmann und seine Geliebte, auch wenn der Name des Moderators im Stück selbst nicht genannt wird.
Den naheliegenden Vorwurf, es könnte ihm vor allem um billige Aufmerksamkeit gehen, hat Koal wohl vorhergesehen - und gleich an den Anfang eine Reihe von Erklärungen und Rechtfertigungen gestellt, inklusive eines fiktiven Interviews des Theaterautors, der sein Stück erklärt. Das ist nicht gerade Rock 'n' Roll, und dazu kommt, dass die Figuren auch noch auf der Bühne den Titel des Stücks erklären müssen: Der „Rashomon-Effekt“ - nach einer Erzählung des japanischen Autors Akutagawa Ryunosuke - bezeichnet die Verwirrung, die entstehen kann, wenn ein Ereignis aus verschiedenen Perspektiven von mehreren Personen ganz unterschiedlich geschildert wird.
Mit einem solchen Effekt - der sich nicht selten schon bei Zeugenaussagen zu einem einfachen Verkehrsunfall einstellt - hat der Fall Kachelmann allerdings wenig zu tun: Hier ging es nicht um die unterschiedliche Wahrnehmung eines Geschehens, sondern darum, dass zwei Leute wohl durchaus wissen, was passiert ist, aber mindestens einer von ihnen nicht die Wahrheit sagt. Doch auch im Theater ist von Anfang an klar: „Die Wahrheit kennen nur zwei Menschen. Und daran wird auch dieser Abend nichts ändern.“
Deshalb allerdings verwundert es, dass die Beziehung zwischen Kachelmann und seiner Geliebten im Theaterstück recht breiten Raum einnimmt - die mediale Hysterie um den Prozess hingegen kaum eine Rolle spielt. Gegen Ende dann: Die angebliche Tatnacht - zunächst so, wie er sie geschildert hat, dann in ihrer Version. Wer mag, kann darin die - wie es im Stück heißt - „prinzipielle Brüchigkeit von Wahrheit“ erkennen. Oder eben einfach zwei sich widersprechende Aussagen.
Der Applaus war durchaus wohlwollend - aber kein Vergleich zum Beifallssturm nach dem Freispruch im vergangenen Mai, wohlgemerkt: in einem Gerichtssaal, nicht im Theater. Dort ist sowohl künstlerisch als auch auf der Skandalskala noch Luft nach oben. Vielleicht sollte Günter Grass ein Gedicht über Kachelmann schreiben.