Packende Reise durch Christian Krachts „Faserland“

Hannover (dpa) - Christian Krachts Debütroman „Faserland“ wurde 1995 von Kritikern als wichtigtuerisches Zeitgeist-Geschwätz abgetan. Doch schon wenig später feierten die Feuilletons den Reisebericht eines jungen Schnösels als Geburtsstunde der Popliteratur.

Heute ist „Faserland“ Pflichtlektüre in vielen Schulen und sogar Abiturstoff in Niedersachsen. Robert Lehniger hat aus dem schmalen Buch ein unterhaltsames und berührendes Theaterstück gemacht. Das Premierenpublikum würdigte die Uraufführung von „Faserland“ im Jungen Schauspiel Hannover am Samstag mit langem Applaus.

Der 45-jährige Schweizer Kracht gehört zu den bedeutendsten deutschsprachigen Autoren. Sein aktueller Roman „Imperium“ hält sich auf den Bestsellerlisten, der Trubel um die Rassismus-Vorwürfe gegen das Buch und den Autor hat sich inzwischen etwas gelegt.

Wie bei „Imperium“ wurden auch schon beim Erstling die Provokationen des Erzählers von manchen Lesern mit Krachts Überzeugungen verwechselt. Der Sohn reicher Eltern schwadroniert über SPD-Nazis und Riefenstahl-Ästhetik, er schildert seine Partyerlebnisse mit einem schwarzen Model oder einem schwulen Burschenschaftler. Dauernd raucht er, betrinkt sich, schmeißt Pillen ein, kotzt und achtet trotz allem stets auf stilvolle Kleidung. Seine Reise durch das zerfaserte Vaterland führen den arroganten Internatszögling von Sylt über Hamburg, Frankfurt, Heidelberg und den Bodensee bis in die Schweiz zum Zürichsee.

Der 37 Jahre alte Regisseur Lehniger, der sich mit Videoarbeiten an renommierten Theatern einen Namen gemacht hat, hat die Rolle des Ich-Erzählers auf fünf Schauspieler verteilt. Er besuchte mit ihnen alle Schauplätze der „Faserland“-Reise. Auf einer riesigen Leinwand hinter der Bühne läuft ein Film dieser Fahrt und die Akteure kommentieren wie bei einem öffentlichen Dia-Vortrag eines Abenteurers ihre Erlebnisse.

Auf der Bühne davor türmen sich an die hundert Wasserkästen. Mit stylish wirkenden Plastikflaschen französischer Marken hat der Regisseur für die Sauf- und Drogenexzesse und die anschließenden Reinigungen eine passende ästhetische Form gefunden. Das Publikum wird von Schlachten mit menschlichen Ausscheidungen verschont.

Das dokumentarische Video im Zusammenspiel mit den starken Schauspielern live bietet spannende Einsichten. Die im Roman illuster klingenden Hotels und Bars seien zum Teil ziemlich heruntergekommen, erzählt Lehniger vor der Aufführung. Er nennt das Stück „Dokufiktion-Roadmovie“.

Die zweistündige Inszenierung lenkt geschickt den Blick auf die tieferen Ebenen des Romans, fernab von den Discos und Bars der 90er. So verdeutlichen die Lieder eines Schülerchors, der zwischen den Reisestationen auftaucht, die Poesie des Textes.

Als „humorig erzählte Geschichte einer Auslöschung oder vielmehr einer Folge von Ersatzhandlungen“ hat Kracht selbst seinen Debütroman in einem Interview im Jahr 2001 bezeichnet. Tatsächlich zeigt das Junge Schauspiel Hannover, dass „Faserland“ weit mehr ist als das Porträt der Generation Barbourjacke: Die Erzählung ist vor allem die Beschreibung eines beziehungsunfähigen Menschen auf der Flucht, dessen Ekel vor der Welt auch der Ekel vor sich selber ist.