Mitreißender „Moby Dick“ am Thalia Theater

Hamburg (dpa) - Den Trend, Romane auf die Bühne zu bringen, gibt es schon länger. Jetzt hat Jungregisseur Antú Romero Nunes es gewagt, mit „Moby Dick“ gleich 900 Seiten aufzuführen.

Für seine unterhaltsame, zweieinhalb Stunden dauernde Version des Klassikers von Herman Melville erhielt der 29-jährige Shootingstar am Freitagabend im Hamburger Thalia-Theater langanhaltenden Applaus. Acht Schauspieler, die in verschiedene Rollen des Romans schlüpfen, nehmen die Zuschauer mit auf eine Reise bis ans Ende der Welt. Dabei erzählen sie in berauschenden Bildern und zu mitreißender Musik von der Suche des Menschen nach Sinn in seinem Leben sowie der Wut über sein Schicksal.

Am Thalia Theater hat der Sohn eines portugiesischen Vaters und einer chilenischen Mutter, der in Tübingen aufwuchs, bereits Erfolge mit „Merlin oder das wüste Land“ und „Don Giovanni“ gefeiert. Bundesweit sorgte er mit Schillers „Räubern“ in Berlin und „Peer Gynt“ in Frankfurt für Aufsehen, den er hilflos durchs Bankenviertel laufen ließ. Für seinen „Moby Dick“ kürzte Nunes zusammen mit Sandra Küpper die Romanvorlage um Kapitän Ahab und seine Mannschaft auf 25 Seiten. „Männer suchen einen Wal. Das ist die Handlung. Und der Inhalt ist: alles Böse, alles, was die Sehnen zerreißt und das Hirn verhärtet, das ist Moby Dick. Und das werden wir jagen“, hatte der Regisseur in einem Interview angekündigt.

Acht Männer (Julian Greis, Mirco Kreibich, Daniel Lommatzsch, Thomas Niehaus, Jörg Pohl, Rafael Stachowiak, André Szymanski und Sebastian Zimmler) trotzen Sturm, Regen und Tod, um Rache an dem zu üben, der Ahab zum Krüppel machte: Moby Dick. Doch die Protagonisten des Romans, den Melville 1851 - inspiriert vom Alten Testament, den Werken Shakespeares und den Geschehnissen seiner Epoche - schrieb, sucht man vergeblich: alle Schauspieler verkörpern mal Ismael, den Matrosen und Erzähler, Queequeg, den tätowierten Harpunier, oder Starbuck, den aufrechten Steuermann, der Ahab Paroli bietet. Sie alle sind die Mannschaft - und am Ende sind sie auch alle Kapitän Ahab.

Auf ein Bühnenbild (Matthias Koch) verzichtet Nunes fast gänzlich, seine Schauspieler erzeugen die Bilder in den Köpfen der Zuschauer mit einfachen Mitteln: ein bisschen Wasser aus der Flasche über den Kopf geschüttelt - und es regnet, ein bisschen Krach gemacht mit einem Wellblech - und es windet, ein bisschen hin und her schwanken - und die Fahrt über das Meer kann beginnen. Mit Musik, Sounddesign und Licht werden alle Register der Bühnenmaschinerie gezogen. Der Zuschauer glaubt, an Bord der „Pequod“ zu sein. Nur mit Gesten erwecken die Schauspieler den harten Alltag zum Leben: Harpune werfen, Leinen einholen, Wal erlegen und später dann zerlegen, um aus seinem Speck den Tran zu kochen.

Selbst die langen wissenschaftlichen Exkurse über den Wal (viel Sonderapplaus für Jörg Pohl) werden so nicht langweilig, wenn gleichzeitig sieben Männer versuchen, in ein Schwitzbad zu steigen. Überhaupt ist die komplette Inszenierung ein Spielplatz für große Jungs, um sich mal richtig auszutoben.

Und gibt es eine Moral von der Geschicht'? „Die ganze Müh beginnt von vorn. Das ist Menschenleben! - Klar Schiff!“ Oder, um mit den Matrosen zu singen: „Somewhere over the rainbow, skies are blue, and the dreams that you dare to dream really do come true!“