Münchner Residenztheater Neuenfels feiert mit „Antigone“ Premiere

München (dpa) - Drei schwarze, mannshohe Holzkisten und zwei überlebensgroße, noch unfertige Heldenstatuen aus Marmor: Mehr braucht Hans Neuenfels nicht, um Sophokles' „Antigone“ im vollen Münchner Residenztheater auf die Bühne zu bringen.

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Der Altmeister schälte am Samstagabend mit Hilfe seines ausgezeichneten Ensembles aus den Figuren das Innerste heraus. Radikal legte er deren Träume, Ängste und vor allem Starrköpfigkeiten offen und stellte damit die tragischen Schicksale und essenziellen Konflikte vor jedweden künstlerischen Schnickschnack. Für so viel Kompromisslosigkeit gab es nach 120 Minuten ohne Pause viel Applaus und einzelne „Bravo“-Rufe aus dem Publikum.

Es gibt keine Knall-Effekte, keine Lichtinstallationen und kein Getümmel auf der Bühne. Stattdessen ist es ein leiser Theaterabend. Denn manchmal erwartet die Zuschauer einfach nur Stille. Eine, die sich als angespannt, unangenehm und sogar als Hals zuschnürend entpuppt. Dann vertraut Neuenfels auf das Können seiner erfahrenen Schauspieler - mit einem Blick kann schließlich auch alles gesagt sein. Wie bei Antigone, die kurz vor ihrem Tod so ihre Schwester Ismene (eindringlich: Anna Graenzer) zum Schweigen bringt.

König Kreon verbietet die Bestattung von Polyneikes, weil dieser gegen die Stadt Theben Krieg geführt hat. Das will sich dessen Schwester Antigone nicht gefallen lassen, doch sie wird ertappt. Für Neuenfels jedoch steht die Frage nach dem einzig gültigen Gesetz - das des Staates oder das der Religion - nicht im Vordergrund. Ihm geht es vielmehr um das Menschliche: Was veranlasst jemanden dazu, gegen ein Verbot zu rebellieren, einen Verstorbenen zu beerdigen und dafür den eigenen Tod zu riskieren?

Neuenfels zeigt Antigone als eine starke Frau, eine zum Missfallen Kreons emanzipierte Frau, eine Frau, die weiß, was sie will und niemals von ihrer Überzeugung ablässt. Komme, was da wolle. Sie will der Seele ihres Bruders Polyneikes einen Übergang ins Totenreich gewähren. So brüllt, zetert und faucht Valery Tscheplanowa als Antigone - bis nur noch ein zittriges Krächzen übrig ist. Dabei verliert sie aber nie ihr Lächeln auf den Lippen. Denn für sie ist klar: Sie muss und wird sich gegen König Kreon durchsetzen.

Ihr Gegenspieler ist da anders gestrickt. König Kreon ist ein Herrscher. Er also sollte eisenhart und kompromisslos sein - sonst gilt er womöglich noch als verweichlicht. Doch all das ist Norman Hackers Kreon nur auf den ersten Blick. Zwischendrin rollt er sich nach einem giftigen Streit zu einem Nickerchen zusammen, bettelt um Wasser und ringt innerlich mit sich und den seinen. Hacker zeigt einen zerrissenen Mann, der sich zwar immer wieder aufbäumen kann, um seinen Willen und seine Macht zu demonstrieren. Der jedoch viel zu spät seinen Irrtum anerkennt.

Die ungekrönte Königin des Abends aber ist Elisabeth Trissenaar. Neuenfels hatte Ernst Buschors „Antigone“-Übersetzung bearbeitet und im Zuge dessen für seine Ehefrau den Chor der Ältesten auf eine Person „zusammenschrumpfen“ lassen. Die Anonymität der Masse weicht also dem Individuum. So zeigt sich Trissenaar als Frau aus Theben extrem nahbar. Sie treibt an, schreit erschrocken auf und spielt - wenn es sein muss - auch mal das Mütterchen. Fortwährend nimmt sie eine Vermittlerrolle ein und ist so zwischen all den Wahnsinnigen scheinbar die einzige Stimme der Vernunft.