Nina Hoss rettet „Kirschgarten“ am Deutschen Theater Berlin
Berlin (dpa) - „Der Kirschgarten“ hat Konjunktur. Kein Wunder: Es geht um den Zerfall einer Gesellschaft im Banne ökonomischer Probleme. Ob Hamburg, München oder Köln: die 1904 uraufgeführte tragische Komödie von Anton Tschechow ist bundesweit ein Renner.
Im Deutschen Theater Berlin hatte am Freitagabend innerhalb kurzer Zeit die bereits vierte Inszenierung des Stückes um die zerstörerische Macht des Geldes an einem Theater der Hauptstadt Premiere. Nina Hoss' Auftritt in Tschechows „Der Kirschgarten“ verlieh der Premiere am Deutschen Theater ein paar Glanzpunkte.
In der Inszenierung von Stephan Kimmig spielt Nina Hoss (36) die Hauptrolle. Sie triumphierte jüngst auf der Berlinale in dem mit einem Silbernen Bären auszeichneten Spielfilm „Barbara“. Darin spielt sie eine Ärztin, die in den 80-er Jahren illegal die DDR verlassen will, weil sie sich von den Umständen unerhört eingeengt fühlt. Ähnlich geht es auch der Gutsbesitzerin Ranjewskaja, der von Nina Hoss kraftvoll verkörperten Zentralgestalt im „Kirschgarten“. Auch sie ist eine Gefangene der Umstände, in denen sie lebt.
Nina Hoss lässt mit schillerndem Changieren zwischen Depression und Hysterie deutlich aufscheinen, wie sehr die übersteigerten Erwartungen der Umwelt an äußerlichen Erfolg die bankrotte Ranjewskaja bedrängen. Damit interpretiert sie die Frau als Opfer eines Lebensverständnisses, das Erfüllung allein durch materiellen Reichtum propagiert. Menschliche Zuwendung bleibt dabei auf der Strecke. Wird am Ende der Kirschgarten verramscht, wird auch alle schlichte Menschlichkeit verraten und verkauft.
Wie zurzeit meist, wird auch am Deutschen Theater die Bearbeitung des Stückes durch den im November 2001 gestorbenen Dichter und Dramatiker Thomas Brasch gespielt. Seine konturenscharfen, oft geradezu gemeißelt anmutenden Sätze sind fest in der Gegenwart der spätbürgerlichen Gesellschaft verankert und brauchen keine vordergründige Modernisierung.
Regisseur Stephan Kimmig vertraut jedoch nicht der Klasse des Textes. Wird etwa von Blut geredet, muss das bei ihm fließen. Werden Probleme verhandelt, müssen die Akteure brüllen. Und die bei Tschechow/ Brasch geradezu betörenden Momente intensiver Verhaltenheit kleistert er mit Musiksauce zu. Das Ensemble um die wunderbare Nina Hoss herum muss zu oft grölen, poltern, spucken und kotzen.
Das grau-weiße Bühnenbild von Katja Haß, Kimmigs Frau, wird von einer riesigen laut scheppernden Flügeltür aus Metall, Pfeilern, Streben und rundherum bodenlangen weißen Vorhängen vor den Blick auf nichts öffnenden Fenstern geprägt. Das sieht eher aus wie der Vorraum eines Badehauses als ein Landsitz. Die bittere Komik des Stückes ertrinkt hier grobschlächtigen Gags. Allein die Darstellungskunst von Nina Hoss tröstet darüber hinweg.
Zur wichtigsten Szene des Abends wird jene im dritten Akt, da Ranjewski auf die Nachricht wartet, ob ihr Hab und Gut inklusive des geliebten Kirschgartens verkauft werden musste oder nicht. Mit erschütternder Schlichtheit zeigt die Schauspielerin das Verdorren einer Seele, die sich blind und dumm allein dem Geld ergeben hat. Damit rettet sie das sonst zu einer Krachklamotte geschrumpfte Stück. Dank Nina Hoss ahnt man, warum Tschechows „Kirschgarten“ Weltruhm hat und immer wieder inszeniert wird.