Ost oder West? Von Frauen und Schubladen
Berlin (dpa) - Auf die Idee hätten die West-Frauen auch schon 20 Jahre früher kommen können, finden die Ost-Frauen. Endlich lernen sich beide Seiten kennen, leisten „Beziehungsarbeit“ auf der Bühne.
Klingt anstrengend, ist es aber nicht.
Sechs Frauen sitzen sich an Tischen im Berliner Theater Hebbel am Ufer gegenüber und erzählen sich aus ihrem Leben. Das steckt als Bücher, Schallplatten, Mix-Kassetten, Poesiealben (West) und Pionierkalendern (Ost) in „Schubladen“.
So heißt das Stück des Kollektivs She She Pop, das bei der Premiere am Donnerstagabend bejubelt wurde und nach der Station in Berlin noch in Hamburg läuft. Nach dem Väter-Stück „Testament“, das es bis zum Theatertreffen schaffte, geht es dem Ensemble wieder um Biografisches. Der Blick zurück in die BRD und die DDR, auf das Private im Politischen: Das ist noch lange nicht auserzählt, was auch das Echo auf Christian Petzolds Kinofilm „Barbara“ zeigt.
Beim Abend von She She Pop macht es Spaß, auf Zeitreise zu gehen, und es stimmt zugleich nachdenklich: Wie war das damals, als das alte Deutschland von der Wetterkarte im Fernsehen verschwand? Warum tragen West-Frauen im Prenzlauer Berg so gerne Gummistiefel? Welche Vorurteile habe ich selbst und wie viele Ost-Nummern stehen in meinem eigenen Telefonbuch?
Es sind nicht die üblichen Klischees und Ostalgie-Gedanken, denen die Inszenierung nachgeht: ein Abend frei von Trabis, Ampelmännchen und Spreewaldgurken. Stattdessen Kindheitserinnerungen: Bei der einen kam die Mutter zur Mandeloperation mit ins Krankenhaus, dort schlief sie eine Woche neben dem Bett der Tochter. Die andere hatte die gleiche Operation, einsam in einem Zimmer mit Gitterfenstern.
Die Frauen erinnern sich an Kati Witt und ihren Eislauftanz zu „Carmen“ oder an „4711“, den Geruch des Westens. Oder an die Pakete für die DDR-Verwandtschaft: „Warum hat deine Oma keine Tampons geschickt?“ Die West-Frauen übersetzen hartnäckig Pop-Songs ins Deutsche, weil sie immer noch glauben, dass die Ostlerinnen kein Englisch können. Eines von vielen Missverständnissen - wie die Annahme, dass Westlerinnen nur Prosecco und keine harten Sachen mögen.