Peter Handke ist Dramatiker des Jahres
Mülheim/Ruhr (dpa) - In Kärnten entscheidet sich während des Zweiten Weltkriegs ein Teil einer slowenischen Familie zur Kollaboration mit den Deutschen. Die anderen gehen in den Widerstand.
In Peter Handkes Schauspiel „Immer noch Sturm“ plädiert der Autor, selbst gebürtiger Kärntner, dafür, Partei für die Minderheiten zu ergreifen - sein Stück stellt genau dieses Engagement dar. Das Werk überzeugte vier von fünf Juroren der diesjährigen Mülheimer Theatertage: Sie wählten Handke zum Dramatiker des Jahres 2012. Die Mülheimer Auszeichnung gilt als einer der wichtigen Theaterpreise Deutschlands.
Mit „Immer noch Sturm“ zitiert Handke, der große Provokateur unter den deutschsprachigen Dramatikern, Shakespeares „König Lear“. Die Konflikte, die während der nationalsozialistischen Ära zwischen der deutschsprachigen Mehrheit und den Slowenen in Kärnten ausbrachen, sind keineswegs beigelegt. Die Vergangenheit ist nicht vorüber, es herrscht „Immer noch Sturm“. Wie Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek sieht Handke die Fortdauer faschistischen Denkens in unserer Gegenwart.
Die Koproduktion des Thalia Theaters Hamburg und der Salzburger Festspiele war im August 2011 in der Regie von Dimiter Gotscheff in Salzburg uraufgeführt worden. Eine schriftliche Begründung für den Preis gab es nicht; die Juroren sprachen aber - wie eine Theatersprecherin mitteilte - von einem „Stück, das unbedingt geschrieben werden musste - ein trauriges, wütendes, zorniges aber auch sehr komisches Stück.“ Handke setze allen ethnischen Minderheiten ein Denkmal. „Es ist ein universelles Stück.“
Kurz nach Mitternacht am frühen Freitagmorgen stand der umstrittene 69-jährige österreichische Poet als Preisträger fest. Politisch hatte sich Handke vor einigen Jahren ins Abseits manövriert, als er öffentlich den jugoslawischen Ex-Diktator Slobodan Milosevic verteidigte. Der Autor lebt zurückgezogen in der Nähe von Paris.
Handkes Schauspiel konkurrierte in diesem Jahr mit fünf Stücken anderer Dramatiker. Viel Anerkennung fand Philipp Löhles Globalisierungskomödie „Das Ding“ sowohl bei den Juroren als auch bei den Zuschauern. Das „Ding“ ist ein Fußball-Trikot, das nach seiner Herstellung um die Welt reist. Dabei kommt es in Afrika, Deutschland und China zu zahlreichen Verwicklungen. Löhle erhielt den undotierten Publikumspreis.
Alle Stücke, die es nach Mülheim schafften, waren im Kern politisch, ästhetisch zeigen sie ein imponierend weit gespanntes Spektrum. Die Vielfalt ist eine Herausforderung für Regisseure, Schauspieler und Publikum. Zu den Preisträgern des Mülheimer Dramatikerpreises in den Vorjahren gehören Elfriede Jelinek, René Pollesch und Urs Widmer.