Premiere: Wagner ganz global gesehen
Mit einem provokanten „Rheingold“ beginnt an der Essener Aalto-Oper der „Ring“, der bis zum Jahr 2010 vollendet sein soll.
Essen. Gespalten waren die Reaktionen des Publikums auf die Premiere von Richard Wagners "Das Rheingold". Das Essener Aalto-Theater ist vor kurzem in einer Kritikerumfrage zum Opernhaus des Jahres gekürt worden und startet rechtzeitig zum Kulturhauptstadtjahr im Ruhrgebiet mit "Das Rheingold" einen neuen "Ring des Nibelungen", der bis zum Herbst 2010 vollendet sein wird. Jeder Teil des Zyklus wird von einem anderen Regisseur umgesetzt, die musikalische Leitung aller Abende liegt in den Händen des Intendanten Stefan Soltesz.
Während der Beifall für die musikalische Seite der Aufführung geradezu frenetisch war, musste das Team um den Regisseur Tilman Knabe lautstarke Buhs und Pfiffe einstecken. Schon im berühmten Es-Dur-Orchestervorspiel hatten vereinzelte Premierengäste demonstrativ den Saal verlassen, die sich durch die gezeigten drastischen Szenen offensichtlich provoziert fühlten.
Regisseur Tilman Knabe hat einen sozialkritischen Zugang zum Werk gewählt und fasst den Vorabend von Richard Wagners Tetralogie "Der Ring des Nibelungen" nicht eben mit Samthandschuhen an. Wagners Spiel um Geld und Macht setzt Knabe in konkrete Bezüge zur globalisierten Gegenwart und zeigt materielle und emotionale Verwahrlosung quer durch alle Gesellschaftsschichten. Auch in der Götterwelt herrschen Alkohol, Drogen, rüde Gewalt und sexuelle Ausschweifung.
Alfred Peters hat eine Simultan-Bühne gebaut, auf der alle Figuren ständig anwesend sind. Ein gigantischer Müllschacht in der Mitte teilt und verbindet zugleich die Szenerien: das holzgetäfelte Obergeschoss der verkommenen Götter, die Gerümpelkammer der Riesen, der Bordell-Keller der Rheintöcher und Alberichs finstere Kommandozentrale. Die Bühne ermöglicht dem Regisseur, mehrere Geschichten parallel zu erzählen. So vergnügt sich im Vorspiel Wotan mit Prostituierten, die sich später als Rheintöchter entpuppen, während Alberich geifernd vor einem Peepshow-Fenster klebt und Froh und Donner in homoerotische Spiele vertieft sind.
Die Nibelungen sind bei Knabe die Müllkinder der modernen Megastädte, die verstört durch die Altkleiderberge huschen und von Alberich brutal in Schach gehalten werden. In ungeschönten und hart zugespitzten Bildern zeigt Knabe die Nachtseite der Globalisierung und das Elend ihrer Verlierer. Trotz des schlüssigen Ansatzes unterlaufen dem Regisseur jedoch Vergröberungen und Unschärfen, zudem trägt das Prinzip der Simultanhandlungen nicht über den ganzen Abend und läuft bisweilen ins Leere. Streckenweise herrscht wilder Aktionismus und es wird allzu viel über Leitern und Treppen geklettert und ruhelos hin und her gezogen. So bleibt der szenische Gesamteindruck des Abends seltsam fahrig und überladen, trotz einleuchtender Grundidee.
Musikalisch überlässt Stefan Soltesz im Graben nichts dem Zufall. Straff hält er die Zügel fest in der Hand und sorgt für höchste Klangtransparenz und zügige Tempi. Soltesz’ Wagner klingt schlank, agil und dennoch hoch explosiv. Aus der insgesamt auf hohem Niveau agierenden Sängerschar ragen insbesondere Jochen Schmeckenbechers grandioser Alberich und Rainer Maria Röhrs eisig blasierter Loge heraus.