Premiere: Familiendrama im Wetterhäuschen
Kleists „Familie Schroffenstein“ als überfrachtete Parabel am Düsseldorfer Schauspiel.
Düsseldorf. Es ist ein Moment innigsten Glücks. Agnes und Ottokar, sie im signalroten Kleid, er in unschuldigem Weiß, treffen sich zum Stelldichein.
Als Kinder verfeindeter Familien war ihnen Hass die Babynahrung, umso wagemutiger ist ihr unbedingtes Liebesvertrauen. Sie reichen sich ein Glas Wasser, tollen herum und feiern unwissend eine Auszeit in einem Strudel aus Rache und Vergeltung.
Die Liebe zwischen Kindern verfeindeter Familien, das klingt nach einer "Romeo und Julia"-Paraphrase. Heinrich von Kleists "Die Familie Schroffenstein" bindet jedoch zwei Stämme einer Familie durch einen Erbvertrag aneinander, nach dem beim Aussterben der einen Linie die andere den Besitz übernimmt.
Als der jüngste Sohn von Graf Rupert und Eustache tot aufgefunden wird, müssen Graf Sylvester und Gertrude als Sündenböcke herhalten. So kommt eine Spirale des Hasses mit fehlenden Fingern, Hexen und zahlreichen Leichen in Gang.
Im Düsseldorfer Schauspielhaus schaltet Regisseur Stephan Rottkamp dem wilden Treiben allerdings einige Filter vor. Christoph Müller gibt den Zeremonienmeister, der das Theaterspiel in Gang setzt. Erst dann stürzt sich Rupert in seine Hass-Arie und bekräftigt die Rache liturgisch mit Oblate und Kuss, während Eustache im blauen Kleid (Kostüme: Ulrike Schulze) zu beschwichtigen versucht.
Als Kehrseite der emotionalen Medaille ist Sylvester ein Cello spielender Schöngeist mit Ohnmachtsneigung, den seine Angetraute erst antreiben muss.
Dass beide Elternpaare von Wolfram Rupperti und Christiane Rossbach gespielt werden, rückt die Inszenierung ins Parabelhafte. Eine Wirkung, die Robert Schweers Bühne mit einem weit hinter dem Portal hängenden Streifenvorhang noch potenziert; darunter drehen sich die große und darauf eine kleine Drehbühne, die wiederum zwei rückseitig aneinander gelagerte Spielflächen mit Portal und Streifenvorhang zeigt: Babuschka und Wetterhäuschen in einem.
Rottkamp zeigt zwar die Nähe von Hass und Sexualität, wenn sich die Eltern nach ihren Racheschwüren an die Wäsche gehen. Oder Agnes (Janina Sachau) als Früchtchen, das auch den vermittelnden Jeronimus (Michele Cuciuffo) anmacht, während Ottokar (Milian Zerzawy) eher eine Scherenschnittverwandlung von Feindschaft in Liebe vollzieht.
Doch seine Inszenierung will alles auf einmal, den Kleistschen Gefühlsrausch und die Parabel und entlarvt alles als Theaterspiel. Wenn Ottokars Halbbruder Johann (Denis Geyersbach) liebend hinter Agnes mit dem Dolch her ist, rennen sie gegen die laufende Drehbühne zu Mozarts "Requiem" auf die Windmaschine zu: Liebe und Bedrohung, Totenmesse und alles nur Spiel. Was denn nun?
Die Hexenszene verkümmert schließlich vollends zur Klamotte mit Fäkalienimitat, und zum Schlussbild rauschen dann 17 Christbaumkugeln herab: Das "Fest der Liebe" von Ottokar und Agnes, bei dem die beiden ihre Kleider tauschen und "versehentlich" von ihren Vätern ermordet werden, verkümmert zum Vollzug ohne jede Dramatik. Weniger wäre an diesem Abend mehr gewesen.
2 ½ Stunden, keine Pause, Auff.: 24. Oktober, 4., 29., 30. November, 19.30 Uhr, Großes Haus, Tel. 0211/36 99 11.