Der Meister der Tränenschnüre

Daniele Buetti in Recklinghausen und Mülheim an der Ruhr.

Recklinghausen/ Mülheim an der Ruhr. Geht man in die zweite Etage des Mülheimer Museums und zieht man die Glastür auf, steht man vor einem ausgerissenen weißen Blatt, an die Wand gepinnt. In schwarzer Kinder-Zitterschrift liest man: "Ich will dich so martern, dass die Sonne durch dich scheinen möge." Ja, der Schweizer Künstler Daniele Buetti, Jahrgang 1955, lässt mit seinen Kunstwerken vornehmlich die dunklen Seiten des Lebens dämonisch schimmern.

Und wenn die beiden Kooperations-Schauen in Recklinghausen (Kunsthalle) und im benachbarten Mülheim (Museum Alte Post) unter dem Motto stehen "Maybe You Can Be One of Us" (Vielleicht kannst du einer von uns sein), dann klingt das weniger nach einer Einladung als nach dem Ausschluss aus einem Club sadistischer Quälgeister. Denn in einem zweiten großen Museumsraum lehnen 17 Demonstrationsschilder an der Wand, bestückt mit Frauenbildern, meist Fotografien.

Und allen fließen die Tränen wie Perlenschnüre manchmal schon vom Haaransatz aus wie Ströme über das Gesicht. Mitunter hat Buetti auch das Papier perforiert, Tropfen in die Nähe der Penetration gerückt. Man sieht Frauen und stilisierte Models. Da die Räume eng mit rauen Bauholzlatten ausgelegt sind, knarrt es oft.

Aber Buetti liebt Geräusche und Sound. Der rohe Recklinghäuser Kunst-Betonbunker ruft geradezu danach. Zwei Geschosse lässt der Künstler scheinbar leer, doch in Wahrheit sind sie wie eine Gans gestopft mit dumpf grollenden Geräuschen. Von Etage zu Etage wächst das brutale Knallen und ein elektronisches, permanent fließender Soundband.

Bis in den ersten Stock hüpfen, springen und trudeln tusche-geschwärzte Tennisbälle, 600 an der Zahl. Im zweiten Stock stehen die "Übeltäter", fünf Ballwurfmaschinen. Sie bergen nicht nur die aggressiven Wurfgeschosse, sondern auch Mikrofone, die Motoren, Lärm und das Aufschlagen einfangen und akustisch multiplizieren.

Der Raum ist ausgestattet mit kräftigen, weiß gestrichenen Holzwänden, auf denen die Bälle Flecken hinterlassen. Und nicht selten ist die Wucht des Aufschlags so heftig, dass der Ball per Rückstoß zur gegenüberliegenden Wand geschmettert wird.

In der Schweiz, Frankreich, Spanien und in Amerika kennt man Buettis Werk. Schade, dass seine Auseinandersetzung mit Schein und Sein, Zeichen und Realität, Lüge und Wahrheit, Schmerz und Scherz hierzulande nicht ausreichend diskutiert worden ist.

Er greift auf und an, wie wir die Ästhetik der Waren- und der Werbewelt verinnerlichen. Aufschlussreiche Dokumente hält da das prachtvolle Katalogbuch bereit, fast eine Monographie. Es wurde für diese beiden Ausstellungen und eine Schau im New Yorker Swiss Institute Contemporary Art bei Hatje Cantz herausgegeben.