Premiere: Paris wird als ein einziges Irrenhaus gezeigt
Christof Loy inszeniert die französische Volksoper „Louise“ für die Rheinoper.
Duisburg. In Frankreich ist sie eine Volksoper, in Deutschland wird sie so gut wie nie gespielt. Es ist ein Verdienst des scheidenden Intendanten Tobias Richter, eine Neuinzenierung von Gustave Charpentiers "Louise" zu wagen. Der Aufwand ist enorm: ein Riesenensemble, Chor, Extra- und Kinderchor und jede Menge Statisterie. Die Bühne quillt über, der Enthusiasmus des Publikums nicht weniger.
Charpentier siedelt seinen "Musikroman" im proletarischen Milieu an, in dem er selbst aufwuchs. Louise lebt bei den Eltern in einem engen Arbeitermilieu in Paris und hat sich in einen jungen Dichter verliebt. Vater und Mutter wollen sie für sich behalten. Übermäßige Nestwärme, Ablösungs- und Versorgungsängste einerseits, aufkeimende Erotik andererseits sind die beiden Pole, zwischen die das zunächst hilflose Mädchen gerät. Sie entschließt sich zur Flucht. Als der Vater sie wegen einer Krankheit zurückholt und nicht mehr gehen lassen will, kommt es zum Bruch.
Eine aktuelle Problematik also. Doch Regisseur Christof Loy inszeniert statt einer zauberhaften "Amélie" eine "Dogville"-Variante. Er verlagert die Handlung in eine psychiatrische Klinik. Eine herrschsüchtige Mutter wartet mit ihrer selbstmordgefährdeten Tochter auf den nächsten Therapietermin. Die Handlung ist das Hirngespinst einer Neurotikerin, der geliebte Julien die Wunschprojektion auf ihren Psychiater. In der ersten Szene ist bereits alles entschieden, der lange Abend bleibt spannungslos.
Die atmosphärischen Milieuschauplätze gefrieren zu einem kalten Wartezimmer (Bühne: Barbra Pral). Montmartre, das Charpentier in immer neuen Bildern und mit Tiefensog musikalisch beschreibt, verkommt zur Diaschau eines Wochenendtrips.Verkäufer und Arbeiter sind auch nur Patienten desselben Arztes. Paris als Irrenhaus.
Jonathan Darlington hat wenig Chancen, gegen das analytische Seziermesser des Bühnengeschehen anzudirigieren. Entweder nimmt er die Duisburger Philharmoniker völlig zurück oder er lässt sie zu tosender Puccinigewalt anschwellen. Die Wahrheit dürfte in der Mitte liegen. Charpentier ist ein Meister schillernder Zwischentöne. Er liebt Paris, liebt Menschen, zeichnet ihre Sehnsüchte und Ängste detailfreudig nach. Im dritten Akt ahnt man für Augenblicke, welch sinnlichen Rausch diese Oper vermitteln kann.
Im durch die Regie vorgegebenen Konzept zeichnet das gesamte Ensemble überaus aparte Psychogramme nach: Marta Márquez als böse, uneinsichtige Mutter, Sami Luttinen gibt den zum Inzest neigenden Vater, Serghej Khomov den coolen Psychiater, der sich nicht ungern in die erotischen Phantasien seiner Patientin hineinziehen lässt. Durchgängig präsent ist Sylvia Hamvasi mit der ergreifenden Studie einer labilen Persönlichkeit. Jeder Glücksmoment ist überschattet. Wenn sie am Schluss tatsächlich aus dem Fenster springen will, weiß man, dass sie bei ihren Eltern am besten aufgehoben ist.
2 Std. 40 Min. ohne Pause, Termine: 30.9., 3., 9.,12., 21., 24.10. Karten: Tel. 0203/9407777