Theater: Das große Köpferollen

Krefeld inszeniert Thorsten Duit Büchners „Dantons Tod“ mit bitterer Prise.

Krefeld. Die Familie hat vor dem Fernseher Platz genommen: Papa mit Bierflasche, Mama in seliger Erwartung, die Kinder aufgeregt streitend. Nichts ist schöner als Hinrichtungen zur besten Sendezeit.

Die Feinde der Revolution werden einen Kopf kürzer gemacht, ihre Schreie, ihr Beten und Beteuern schallt aus dem Publikum, während der tugendhafte Henker Robespierre den Bierkasten wie ein Fallbeil auf den Bühnenboden niedersausen lässt.

Dies irre Klirren, Knallen und Köpferollen steht am Anfang der Krefelder Inszenierung von "Dantons Tod". Regisseur Thorsten Duit hat sich für eine volksnahe Aufbereitung entschieden. Zum einen, indem er das sperrige Büchner-Stück in klaren, bildgewaltigen Szenen erzählt und anfangs aus Kindermund die Hintergründe der französischen Revolution abspulen lässt. Zum anderen, indem er neben Danton und seinem Widersacher Robespierre einen weiteren Hauptcharakter einführt: das Volk selbst.

Er lässt die Darsteller durch das Publikum streifen, wispern, brüllen und stapfen, bis der Boden die Erschütterung weitergibt und die Zuschauer fast selbst zum Teil einer manipulierbaren Masse werden.

Zu jener Zeit, vier Jahre nach der Revolution, lebt das Volk in unsagbarem Elend und schreit nach dem Blut jener, die sich den Bauch vollschlagen, saufen und huren. Danton (Sven Seeburg), gefeierter Revolutionär und eitler Lebemann, hat genug von den täglichen Greueln. Er wird zur Gefahr für seinen Weggefährten Robespierre (Ralf Beckord).

"Die Tugend muss durch den Schrecken herrschen", lautet dessen Leitsatz, ein zeitloses Credo für Diktatoren aller Art. Robespierre und sein eiskalt lächelnder Propagandaminister St. Just (großartig: Stefan Diekmann) sind Herren ohne jede Regung, Manager der Macht, die über Leichen gehen, um die Revolution auf Kurs zu halten. Sie schmieden Pläne, Danton und seine Freunde aus der Welt zu räumen.

Thorsten Duit lässt die in Ungnade Gefallenen in eine Wassergrube werfen, sichtbar fast nur als verzerrtes Bild in einem riesigen Deckenspiegel. Auch die Seitenwände der Bühne bestehen aus verspiegelten Drehtüren. In der besten Szene der Inszenierung wirbeln sie herum und erzeugen einen Strudel aus Licht und Bewegung, während sich Eimer voll Blut über Danton ergießen. Solche Bilder sind kraftvoll und laut wie die Schreie des Volkes und die Debatten auf der Bühne.

Probleme hat diese Inszenierung mit den leisen Tönen, mit Schmerz, Reue und Todesangst, die seltsam ungerührt lassen. Erst in der - wiederum wuchtigen - Schlussszene wird das Entsetzen spürbar. Dieser Krefelder Büchner, erste Premiere im Theater auf Zeit (TaZ), einer umgebauten Halle der Stadtwerke, überzeugt dennoch und erntet am Ende langen Applaus.

Das Bühnenbild von Michael S. Kraus, die Musik in ironischen Variationen der Marseillaise (Juan Garcia) und Duits energische Inszenierung wirken aus einem Guss, das Ergebnis genauer Lektüre und der klaren Idee, die Revolution hinaus in den Theatersaal zu tragen.

Das Publikum bekommt das zur Pause zu spüren, wenn St. Just seiner lächelnden Rechtfertigung revolutionärer Greuel ein süffisantes "Draußen gibt’s Sekt" folgen lässt. Aus seinem Munde erhält die prickelnde Einladung einen verdammt bitteren Beigeschmack.