Uraufführung: Schlingensiefs Erlösungsweihrauch

Der Regisseur verarbeitet Krebskrankheit als Oratorium.

Duisburg. Die Duisburger Gebläsehalle ist umgebaut zu jener Oberhausener katholischen Kirche, in der der Theaterregisseur Christoph Schlingensief einst Messdiener war. Spitzgiebelige Fenster, mit bemaltem Papier beklebt, täuschen Kirchenfenster vor. Die Bänke sind hart.

Gefeiert wird das Fluxus-Oratorium "Die Kirche der Angst vor dem Fremden in mir" von Christoph Schlingensief (Konzept, Regie, Ausstattung/Bühne: Thekla von Mülheim). Das Fremde war ein Adenokarzinom in einem Lungenflügel, der herausoperiert wurde.

Bestrahlung, Chemotherapie führten zu großen Schmerzen. Das war mehrfach zu lesen; nun nötigt Schlingensief auch dem Publikum der RuhrTriennale seine Krankheit auf.

Schlingensief hat eine katholische Messe inszeniert. "Fluxus" ist sie, da sie die berühmte Beuys-Ausstellung zitiert: "Zeige deine Wunde". Der Beuys’sche Hase, Schlingensiefs Versatzstück aus dem "Parsifal", ist auf dem Altar dabei und, von innen verwesend, auf Video. Gospel- und der Kinderchor des Aalto Theaters suggerieren ein Oratorium.

Dazu erklingt, wohl 150 Dezibel überzeugungsstark, Musik von Michael Wertmüller für schlagkräftige Percussion, E-Gitarre und Orgel (Dominik Blum).

Richard Wagners suggestive Erlösungsmusik ("Tristan", "Parsifal") und Mahlers "Ich bin der Welt abhanden gekommen" spenden wohlfeilen orchestralen Weihrauch, nach dem es dann auch riecht. Ein Film von 1966 zeigt den niedlichen kleinen Christoph an den Dünen der Nordsee. Links steht auf einem Podest eine blutrot leuchtende Monstranz, die statt der geweihten Hostie das Röntgenbild des kranken Schlingensief-Lungenflügels zeigt. Liturgie-Texte stammen von Hölderlin, Rückert, Beuys, Heiner Müller, Schlingensief und aus der Bibel.

Bei der Wandlung, der zentralen Handlung der Eucharistiefeier, wird der Priester, Jesu Stellvertreter auf Erden, von Schlingensief höchstselbst gegeben. Danach wirft er die geweihten Hostien wie Konfetti oder Karnevals-Kamelle unters Volk.

Kurios, dass der Gedanke von Blasphemie nicht kommt. Sein crossmediales Event ist viel zu trivial, zu inhaltsleer, als dass es verletzen könnte. Schlingensief schmollt, schleudert den Eltern und Jesus nur Hass entgegen: Eine solche Krankheit ihm, wo er doch erst 47 Jahre alt ist! Noch nie eine Kinderkrebsklinik gesehen?

Was die Erfordernisse eines Kunstwerkes betrifft, so steht er einer Würdigung seine peinliche, blinde Selbstverliebtheit im Weg. Er wirkt wie einer, der nicht erwachsen werden will und für seine Fantasien keine Förmchen abgeben will. Pure Egomanie. Am Ende blieb der Applaus verhalten, bis der waidwunde "Priester" auftrat. Klatschen aus Mitleid?