Der Besuch der alten Dame Ruhrfestspiele mit Dürrenmatt-Klassiker eröffnet

Recklinghausen (dpa) - Zum Abschied von den Ruhrfestspielen hat Intendant Frank Hoffmann nochmal eine solide Inszenierung abgeliefert.

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So erhielt Friedrich Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“ am Donnerstagabend im ausverkauften Festspielhaus Recklinghausen viel Applaus, begeisterte Bravo-Rufe blieben jedoch aus. Die Management-Leistung Hoffmanns, der die Ruhrfestspiele zum Ende der Spielzeit Mitte Juni verlässt, kann sich sehen lassen: Er hat dem Festival in seiner 14-jährigen Intendanz steigende Auslastungszahlen, große Namen und insgesamt einen beträchtlichen Ausbau des Angebots beschert. Als Regisseur selbst aber blieb er stets konservativ und unauffällig.

Das gilt nun auch für seine aktuelle Inszenierung von Dürrenmatts Klassiker, die handwerklich solide abschnurrt, aber trotz ihrer luxuriösen Burgtheater-Besetzung - der Abend ist eine Koproduktion - wenig Kontur gewinnt. Im Programmheft sind Anmerkungen von Dürrenmatt zu seinem Stück abgedruckt, in denen es heißt, es sei „eine Handlung, nicht eine Allegorie“, womit der Autor wohl vor dem Pathos tragischer Überhöhung warnen wollte. Allzu genau aber hält Hoffmann sich an diesen Satz, denn er lässt das Geschehen weitgehend sachlich abrollen, ohne jedoch zur kühlen Distanz eines Brecht’schen Lehrstücks zu finden.

Leer und dunkel ist Ben Willikens Bühne zu Beginn, ohrenbetäubend laut dröhnt der Lärm eines fahrenden Zugs in den Saal. Dann jault die Notbremse, und Maria Happel erscheint als Claire Zachanassian auf hohen Schuhen mit roter Perücke und seltsam kalter Wut. Zachanassian kehrt als Milliardärin nach 45 Jahren zurück in ihre Heimatstadt Güllen, um sich zu rächen dafür, dass ihre Jugendliebe Alfred Ill sie damals schwängerte, die Vaterschaft leugnete und sie sitzen ließ.

Rächen will sie sich aber nicht nur an Ill, sondern auf besonders grausame Weise auch an den bigotten Kleinbürgern der heruntergekommenen und verarmten Stadt, die sie damals demütigten. Ihr perfides Angebot: Sie schenkt der Stadt eine Milliarde unter der Bedingung, dass Ill getötet wird.

Nach anfänglicher Empörung der Bürger wirkt das Angebot wie ein schleichendes Gift auf die Güllener, die sich erst angesichts der lockenden Milliarde verschulden und dann moralische Gründe finden, Ill am Ende doch zu ermorden. Die selbstgerechte Scheinheiligkeit eines angeblich im Gemeinsinn handelnden Bürgerzorns, die selbst vor Mord nicht zurückschreckt, ist eigentlich ein höchst aktueller Aspekt von Dürrenmatts ehemaligem Dauerbrenner, der heute nur noch selten gespielt wird. Aber Frank Hoffmann belässt es über weite Strecken beim kommentarlosen, ort- und zeitlosen und sehr texttreuen Ablauf der Handlung.

Dabei kann er allerdings auf großartige Schauspieler vertrauen: Maria Happels rachelüsterne Claire Zachanassian entwickelt zwar keinerlei Dämonie, dafür wirkt sie überzeugend heutig und geschäftstüchtig, nüchtern wie eine Managerin, der man keine Sentimentalität zutraut. Burghart Klaußner gibt Alfred Ill als ängstlichen Kleinbürger, der erst im Untergang eine gewisse Würde entwickelt. Roland Koch ist ein alerter Bürgermeister, der mit seinem Auftritts-Monolog ein schauspielerisches Kabinettstückchen liefert.

Erst gegen Ende nimmt die Aufführung Fahrt auf, wenn die finale Bürgerversammlung naht und sich unter kreischendem Getöse eine riesige Eisenwand von hinten auf die Bühne schiebt und ganz vorne nur noch wenig Raum lässt für den Tisch, an dem die Güllener Alfred Ill verurteilen. Dann geht das Saal-Licht an und die Bürger, die achselzuckend und zugunsten der kommenden Konjunktur über den Tod des Alfred Ill befinden, sind natürlich wir alle. Das ist zwar keine nagelneue Regie-Idee, aber immer noch eine wirksame.