Schweizer Regisseur inszeniert Pussy Riot-Konflikt

Moskau (dpa) - Der Schweizer Regisseur Milo Rau lässt in einem Theaterspektakel in Moskau Staat und Kirche gegen die Kunst antreten. Der Fall der seit einem Jahr inhaftierten Frauen der Punkband Pussy Riot ist dabei nicht der einzige, in dem es um Kunst und Religion geht.

Der Skandal um die inhaftierten Künstlerinnen der Punkband Pussy Riot erlebt in Moskau seine bisher wohl aufwendigste kulturelle Aufarbeitung. In seiner dreitägigen Gerichtsshow „Die Moskauer Prozesse“ lässt der Schweizer Regisseur Milo Rau Fronten aufeinanderprallen: Staatstreue Kräfte und russisch-orthodoxe Christen gegen liberale Künstler. Die Konfrontation ist mit echten Juristen und Künstlern inszeniert.

In dem brisanten Spektakel, das auch als Doku-Drama verfilmt wird, geht es um Russlands Kulturkampf, um Zensur und darum, ob Kunst- und Meinungsfreiheit über den Interessen der Kirche stehen. Die Performance ist Teil eines Großprojekts, das der Theatermacher im Herbst in Weimar begonnen hatte. Im Juni endet es in Bern, wo Rau 1977 geboren wurde, mit der Uraufführung des Dokumentarfilms.

Es geht aber nicht nur um den schrillen Protest der Künstlerinnen von Pussy Riot, die vor einem Jahr in der Moskauer Erlöserkathedrale gegen die „unheilige Allianz von Staat und Kirche“ protestierten. Thema sind auch andere Prozesse gegen Kulturschaffende, die russische Gerichte wegen der Verletzung religiöser Gefühle verurteilten. Regisseur Rau hat für seine Bühnenshow das Sacharow-Zentrum gewählt. Es ist der Ort, an dem russisch-orthodoxe Fundamentalisten 2003 die Ausstellung mit dem Titel „Vorsicht, Religion!“ verwüsteten.

Die Anwältin Anna Stawizkaja, die den Kurator Andrej Jerofejew vor Gericht verteidigte, erinnert vor einer Geschworenenjury an die christlichen Bilderstürmer. Ein Kunstwerk zeigte etwa eine Jesus-Figur mit Reklame für ein US-Schnellrestaurant. Die Juristin ruft ins Gedächtnis, dass Jerofejew und die Künstler Morddrohungen erhalten hatten. Verfolgt wurden aber nicht die Bilderschänder, verurteilt wurden die Kuratoren. Deshalb dreht sich hier auf der Bühne alles um die Frage, ob die Gefühle von Gläubigen höher zu bewerten sind als die von Künstlern.

Für die Anklage gegen die „liberale Kunst“ argumentiert Religionsexperte Maxim Schewtschenko, ein Star des vom Kreml gesteuerten Fernsehens. Zwar kritisiert er die Schärfe des Urteils der zu zwei Jahren Straflager verurteilten Künstlerinnen von Pussy Riot. Schewtschenko warnt aber, dass „antichristliche Kunst“ und Tendenzen eine Gefahr für Russland seien. Er erinnert an die kommunistische Verfolgung von Christen in der Sowjetunion.

Milo Rau, den das Goethe-Institut, die Kulturstiftung des Bundes und andere deutsche Stellen unterstützen, bietet vor allem jenen unbequemen Künstlern ein Forum, die vor Gericht kaum zu Wort kamen. Nach seiner Darstellung sind es diejenigen, die ins Visier eines Systems geraten seien, in dem Justiz, Geheimdienst und Staatsmedien eng zusammenarbeiten. Künstler wie Dmitri Gutow und das auf Bewährung aus der Haft entlassene Pussy-Riot-Mitglied Jekaterina Samuzewitsch kommen zu Wort. Sie wollen sich nicht mit einer „regimetreuen und russisch-orthodoxen Staatskunst“ arrangieren.

Gleichwohl ist den Protagonisten des Bühnenspektakels klar, dass sie an den Kräfteverhältnissen in Russland nichts ändern können. Die Justiz steht seit langem im Ruf, politisches Instrument im Kampf gegen Andersdenkende zu sein - in einem System, in dem das Gesetz des Stärkeren gelte. Raus Projekt soll auch zeigen, dass Kremlchef Wladimir Putin als ehemaliger Geheimdienstchef im Schulterschluss mit nationalistischen und ultraorthodoxen Kreisen die früheren Freiheiten seiner Vorgänger Boris Jelzin und Michail Gorbatschow schrittweise habe verschwinden lassen.

Die Kulturwissenschaftlerin Jelena Wolkowa, die ihren russisch-orthodoxen Glauben hervorhebt, zeigt sich auf Raus Bühne betroffen von den Zuständen in ihrem Land. „Früher habe ich für die Freiheit von uns Christen gegen die Kommunisten gekämpft, heute verteidige ich die Freiheit der Kunst gegen die Religion“, sagt sie in einem emotionalen Appell. Bei einer Solidaritätsaktion für Pussy Riot war auch sie vorläufig festgenommen worden.