Springsteens alte Schatzkiste
„The Boss“ hielt Lieder seit 1978 unter Verschluss. Nach mehr als 30 Jahren hat er sie veröffentlicht – und stürmt sogleich die Charts.
Berlin. Wie konnte es passieren, dass dieses Versprechen erst jetzt eingelöst wird? Zunächst möchte man fast ärgerlich werden, wenn man "The Promise" hört, die 21 Songs des Doppelalbums, das Bruce Springsteen (61) in diesem Jahr seinen Fans zu Weihnachten präsentiert.
Es ist kaum zu verstehen, dass der von Anhängern "The Boss" genannte Rockstar diese durchweg eindrucksvollen, teilweise sogar monumentalen Lieder vom Ende der 70er Jahre seinem Publikum bisher weitgehend vorenthalten hat.
Erst einmal hatte das einen ganz profanen Grund. Nach dem Durchbruch mit dem Album "Born To Run" (1975) hinderte ein Rechtsstreit mit seinem ersten Manager Springsteen drei Jahre daran, neue Songs zu veröffentlichen. Geschrieben hat er natürlich trotzdem: 70 Lieder hat er in fiebriger Arbeitswut produziert, von denen er nur zehn für das Album "Darkness On The Edge Of Town" (1978) nutzte.
"Ich nahm nur Songs auf, die meiner düsteren Stimmung entsprachen. Alles, was nach Euphorie oder Liebe klang, entsprach nicht meiner Laune", sagte Springsteen, der ausgesprochen selten Interviews gibt, bei einem Gespräch vor Publikum im September in Toronto.
Also verschloss der Mann aus New Jersey, der in seiner Veröffentlichungspolitik oft störrisch gegenüber Plattenlabels auftrat, seine Schatzkiste mit den wuchtigen Cinemascope-Balladen und bombastischen Rock-Songs.
Nur eine Handvoll der Lieder war seitdem zu hören, etwa das Liebeslied "Because The Night" als Hit von Patti Smith, "Fire" in einer Cover-Version der Pointer Sisters oder "Rendezvous" auf der Raritätensammlung "Tracks" (1998).
"The Promise" klingt mit seinen Elementen aus Rock, Pop, Doo-Wop und Soul der 50er bis 70er Jahre wie eine gut sortierte Jukebox voller Klassiker. Elvis Presley, Roy Orbison, Phil Spector, die Motown-Soulsänger oder auch die Beatles sind als Springsteens Vorbilder herauszuhören, ohne dass die Songs klischeehaft wirken.
Seine E Street Band liefert den bewährt großformatigen Hintergrund mit viel Klavier, Saxofon-Geröhre und Glockenspiel-Klingeling. Schalala-Chöre ("Someday", "Breakaway") und Bläser ("One Way Street", "The Brokenhearted") pumpen den Sound ins Überdimensionale auf.
Über allem thront diese zwischen Sehnsucht, Verletzlichkeit, Pathos und Aufmüpfigkeit wechselnde Rock’n’Roll-Stimme. Vielleicht hat der "Boss" nie besser gesungen als in dem bewegenden Titelsong "The Promise" - eine typische Springsteen-Story voller Hoffnungen darauf, dass endlich die große Wende im Leben kommt, nimmt ihren Lauf und geht natürlich nicht gut aus.
Bei den Aufnahmen vor mehr als 30 Jahren landeten viele Skizzen und Demos im Müll. Aber mindestens 40 komplette melodie-satte Lieder sollen auch entstanden sein, wie der Dokumentarfilm in der DVD-Box zeigt. Womöglich sind die nun auf "The Promise" versammelten Stücke also nur die spektakuläre Spitze des Eisbergs.
Die gerade veröffentlichten 21 Songs sind bei den Fans schon jetzt ein Volltreffer und haben auf Anhieb die Spitze der Verkaufs-Charts erreicht. Springsteen selbst ist zu seinen bekannt kargen Äußerungen zurückgekehrt und erklärt auf seiner Webseite lediglich: "Dies ist keineswegs eine Platte mit Ausschussware, sondern ein echtes Doppelalbum, das als Werk für sich steht."