Stürmen statt Kuscheln
Martin Heckmanns lässt seine Heldin Ira durch das World Wide Web, über Bühnen und über Phrasen stolpern.
Düsseldorf. Sie entzückt eine ganze Fernsehnation: Natürlich, unverfälscht, frisch - so ist Lena Meyer-Landrut, heißt es. Und alle laufen "Unserem Star für Oslo" hinterher, um zu sehen, wie das geht. Ira ist wie sie. Sie bewegt sich wie Lena, sie redet wie Lena, selbst in Sachen Frisur gleichen sich die beiden Frauen.
Die eine kommt aus Hannover und macht gerade Abitur, die andere hat sich Martin Heckmanns ausgedacht. Auch seine Ira aus Neuss ist kurzzeitig ein Star auf der Showbühne. Darum geht es in seinem neuen Stück "Hier kommen wir nicht lebendig raus. Versuch einer Heldin" am Düsseldorfer Schauspielhaus aber nur vordergründig.
Gerade diese Welt will seine Ira nämlich nicht: Kein Kuscheln im "Internetzchen", wo jeder ein Freund bleibt. Keine küchenpsychologische Analyse, in der ihre Mutter den fehlenden Vater für blutige Ritzereien verantwortlich macht. Und auch keinen Kreativen, der von Abhängigkeiten quatscht und Sex will.
"Das Fleisch drängt. Es ist Zeit", sagt Ira und zieht aus, um zu erfahren, wie Leben geht. Ganz klassisch stürmt sie, um die Verhältnisse zu ändern. Und auch, weil ja alles irgendwie zusammenhängt: "Überbevölkerung, Rohstoffmangel, Klimawandel, Wohlstandsgefälle, metaphysische Obdachlosigkeit - und die sterbenden Wale."
Sie verlässt die Mutter, schauspielert, macht Comedy, versucht sich als politische Aktivistin, verliebte Ganovin und zahlungsunfähige Dichterin. Bis der Weg sie zurückführt nach Neuss. Mit Mann und Kind.
Hat sich das gelohnt? Dass diese Suche nach Erfahrungen albern, komisch und zugleich berührend ist, liegt am gelungenen Zusammenspiel von Autor, Regisseur und Ensemble. In der Uraufführung leistet Xenia Snagowski als Ira Herausragendes.
"Machen sie mal", sagt ein Talentscout und lässt die junge Frau vor dem Mikrofon allein. Sie stottert und schlottert, dann rast sie mit voller Wucht von einer Seite der Bühne auf die andere, prallt ab, rast zur nächsten Seite und prallt wieder ab.
Diese Ira schreckt vor Schmerz nicht zurück. Sie ringt mit Worten: Mal berlinernd, mal sächselnd, mal zart, mal furios sucht sie Wahres jenseits aller Phrasen. "Vieles lässt sich grammatisch korrekt, syntaktisch genormt und vokabulesk reguliert einfach nicht ausdrücken", stellt sie fest und beginnt zu dichten.
Heckmanns wandelt mit seinem Text auf dem Grat zwischen Tiefsinn und Plattitüde. Die Pointen in seinen Dialogen zünden, weil sie seine Typen treffsicher charakterisieren. Dass deren Macken nicht irgendwann zu nerven beginnen, verdanken die Figuren den guten Darstellern und Regisseur Schmidt-Rahmer.
Er leistet sich komische Albernheiten, wie etwa die ungestüme Trockenschwimmeinlage von Jakob (Daniel Christensen), Iras’ Liebsten, der statt in den wilden Wellen auf einer Matratze seine Freiheit genießt. Das ist originell.
Wer allerdings das Stück "Kommt ein Mann zur Welt" gesehen hat, das Heckmanns vor drei Jahren ebenfalls für das Düsseldorfer Schauspielhaus schrieb und das ein Publikumsrenner wurde, der muss sich manchmal fragen: "Kenne ich das nicht schon?" Aber weil er den Nerv unserer Zeit so genau trifft, lohnt es sich trotzdem.