Théâtre du Soleil feiert seinen 50. Geburtstag
Paris (dpa) — Statt in Glaskugeln lesen die Hexen die Zukunft im Internet und statt mit einem Schwert tötet Macbeth mit einer Strahlenwaffe.
Ariane Mnouchkine hat die gleichnamige Shakespeare-Tragödie ins 20. Jahrhundert katapultiert. Flugzeuge kreisen bei ihr über den Schlachtfeldern und der König trägt eine schusssichere Weste. Mit dem neuen Stück feiert die französische Theater- und Filmregisseurin den 50. Geburtstag ihres legendären Theaterkollektivs Théâtre du Soleil.
Die neuen Kreationen von Mnouchkine werden immer mit viel Spannung erwartet. Erstens, weil die 75-Jährige nur alle fünf bis sechs Jahre ein neues Werk schafft. Zweitens, weil ihre Stücke keine einfachen Geburten sind. Bereits vor fünf Jahren kamen erste Gerüchte um ein Shakespeare-Drama auf. Anfang des Jahres wurde die Premiere dann wieder um Wochen verschoben. Und wie es für das Théâtre du Soleil üblich ist: Zuerst durfte das Publikum den neuen vierstündigen „Macbeth“ sehen und danach die Kritiker. Beide sind begeistert. Das Stück ist bis Anfang Juni bereits ausverkauft und in Frankreichs Zeitungen ist zu lesen: „Ein grandioser "Macbeth" zum 50. Geburtstag.“
Mit ihren Inszenierungen von Shakespeares „Richard III.“, „Was ihr wollt“ und „Heinrich IV.“ sorgte Mnouchkine schon vor mehr als 30 Jahren für Sensationen. Die Anfang der 1980er Jahre aufgeführten Werke waren vom japanischen Kabuki-Theater und dem indischen Kathakali-Tanzdrama beeinflusst. Das Théâtre du Soleil orientiert sich in seiner Arbeit sowohl am Theater des Fernen Ostens, an der Griechische Tragödie als auch an den Traditionen des volkstümlichen Theaters.
Mnouchkine betreibt mit ihrem 1964 gegründeten Sonnentheater ein politisch-moralisch motiviertes Theater. Ihr Macbeth ist kein Held, sondern eine wahnsinnig gewordene Tötungsmaschine und die Tragödie eine moderne Metapher auf Macht und Mord. Seit 50 Jahren glaubt Mnouchkine an den Einfluss des Schauspiels auf die Wirklichkeit und seit 50 Jahren arbeitet sie mit denselben Akteuren. In einem weitgehend von Männern dominierten Metier regiert sie über ein Kollektiv, mit dem sie seit fünf Jahrzehnten weltweit Triumphe feiert.
Ihre Inszenierungen haben Theatergeschichte geschrieben. In der ersten Hälfte der 1970er Jahre schuf sie „1789“, „1793“ und „L'Age d'or“, Kreationen, in denen sie die Geschichte der Französischen Revolution beziehungsweise der Gegenwart nach dem Mai 1968 reflektiert. „Tartuffe“ von Molière oder „Le dernier Caravansérail“, das von heutigen Kriegs- und Armutsflüchtlingen handelt, sind weitere Erfolgswerke.
Bei Mnouchkine und ihrem Théâtre du Soleil gilt Gleichberechtigung bei der Arbeit und gleiche Bezahlung für alle. So kommt es vor, dass die Regisseurin am Eingang steht und die Eintrittskarten entgegennimmt. Von einigen Schauspielern weiß man aber auch, dass sie mit eiserner Hand über ihr Sonnentheater herrscht, das seit 1970 in einem ausgedienten Patronenlager, der historischen „Cartoucherie“ des Schlosses von Vincennes, ihre ständige Bleibe gefunden hat.