Uraufführung: Wuppertal holt den Propheten
Peter Hacks Fabel „Jona“ überzeugt nicht ganz, setzt aber ein starkes Zeichen.
Wuppertal. Ein Prophet hat es meist schwer im eigenen Land. Das ist leicht gesagt, wenn man nicht selbst im Rampenlicht steht. Zieht es einen allerdings genau dorthin, sieht man nun, wie einfältig es ist, wenn Herrscher ein doppeltes Spiel treiben, bei dem der Zuschauer kaum noch weiß, wer mit wem (k)einen Pakt schließt.
Es ist das Ende vom Anfang: Wer im Leben nicht deutlich Stellung bezieht, geht unter. Konsens statt Klarheit - an den Wuppertaler Bühnen gibt es dazu pünktlich zum Jahrestag des Mauerfalls eine passende Lehrstunde. Denn die Bühnen selbst beziehen Position: "Jona" ist bereits die dritte Uraufführung unter der neuen Intendanz von Schauspiel-Chef Christian von Treskow.
Marc Pommerening inszeniert Peter Hacks sperriges "Trauerspiel" im Kleinen Schauspielhaus. Dass er auf eine tribünenartige Bühne setzt, ist der beste aller Regie-Einfälle, denn die Stufen, die fünf Jung-Schauspieler hitzig erklimmen, auf denen sie stolpern und toben, symbolisieren karg und kühl, wie unberechenbar der Auf- und Abstieg sein kann.
Hacks greift den biblischen Jona-Stoff auf - mit neuer Deutung. In Ninive, wo er per Wal landet, erhält Jona von Gott einen heiklen Auftrag. Er soll prüfen, ob die Stadt dem Untergang geweiht ist. Der Prophet, der mit einer Kreidetafel wie ein Schüler Bilanz zieht, entdeckt ein Intrigen-Netz, in dem Königin Semiramis die Fäden zieht. Sie taktiert mit dem Land Babel genauso wie mit dem Staat Ararat und führt ihr Reich an den Rand des Abgrunds.
Auch Peter Hacks, der umstrittene "Untergangs-Prophet" der DDR, kannte alle Facetten menschlicher Reaktionen: Zeitgenossen waren von ihm begeistert - oder abgestoßen. Zu Hochzeiten wurden Hacks Dramen im Deutschen Theater in Berlin uraufgeführt. Heute hingegen, sechs Jahre nach seinem Tod, warten einige seiner letzten Werke immer noch auf ihre Premiere.
Die Kooperation mit der Folkwang-Hochschule überzeugt in einzelnen Szenen, aber nicht im großen Ganzen. Dafür ist sie nicht nur zu lang. Auch die Wende-Parolen, die nach der Pause per Tonband eingespielt werden, reichen nicht aus, um aus der mythologischen Fabel eine beißende Politsatire zu machen und Parallelen zum Zeitgeist aufzuzeigen.
Pommerening vertraut der fabelhaften Sprache des Dichters und erzeugt eine Spannung zwischen den klassischen Blankversen und der expressiv-grotesken Spielweise. Das geht auf, wenn Mona Kloos als Asyrte rasend gut die Liebes-Wahnsinnige spielt, ist aber überambitioniert, wenn Marie Bonnet mit Rapper-Gesten leicht überdreht ihre Rivalin gibt.
Kloos sticht als Tochter von Semiramis heraus: Mal wirkt Asyrte erwachsen-diszipliniert, dann wieder zerbrechlich wie eine Porzellanpuppe. Ein großes Problem ist allerdings, dass Mutter und Tochter optisch gleich alt aussehen. So nimmt man Kim Doerfel noch weniger die reife Regentin ab. Blass bleibt auch Corbinian Deller als Jona, der mehr Randbeobachter als Richter ist. Sehr körperlich spielt dafür Sebastian Zumpe: Als Feldherr, den die Königin zum Verräter macht, setzt er wichtige Akzente.
"Jona" ist kein leichtes Werk. Hat man den Text nicht gelesen, sind Details schwer zu verstehen. Dabei geht es - ganz einfach gesagt - um Macht und Liebe. Man muss kein Prophet sein, um zu erkennen, dass die Produktion zwar ihre Schwächen hat, aber die Wuppertaler Bühnen mit ihrer Uraufführungs-Offensive trotzdem ein starkes Zeichen setzen.