Düsseldorfer Schauspielhaus Protokoll eines kämpferischen Lebens
Düsseldorf · Das Stück „Annette – Ein Heldinnenepos“ feierte im Düsseldorfer Schauspielhaus seine Premiere. Das Stück ist sehr inforamtionsreich, aber auch etwas zu langatmig.
. Keine Panik. Es geht nicht schon wieder um die Droste-Hülshoff. Sondern um „Annette – ein Heldinnenepos“. Das Werk von Anne Weber, 2020 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet, erzählt von der französischen Widerstandskämpferin Anne Beaumanoir. Genauer: Weber spürt ihrer Biografie und Zeitgeschichte nach. Die vornamensgleiche Autorin (und deutsch-französische Übersetzerin) hatte einen Vorteil: Sie kannte und befragte ihre „Heldin“ und baute deren detaillierte Erinnerungen, Fotos, Zeitungs-Ausschnitte, Flugblätter und Briefe in ihr „Epos“ ein.
Historische Dokumente, die jetzt in Fotokopien wiederkehren, per Overheadprojektor an die Wand geworfen – im Düsseldorfer Schauspielhaus. In einer ausufernden Geschichtsstunde der lebendigen und extrem materialreichen Art. Die textlastige Spielfassung stammt von Hörspiel-Spezialistin Bernadette Sonnenbichler, die Webers Versepos in eine chronologische Erzählung mit eingeflochtenen Dialogen verwandelte.
Mit vier Mimen spürt Sonnenbichler den verschiedenen Lebens- und Liebes-Abenteuern der außergewöhnlichen Frau nach. Dabei schlüpfen die Darsteller permanent in andere Rollen, übernehmen den Erzähler-Part, imitieren dabei Geräusche, ähnlich wie im Tonstudio – Rascheln, Rattern, Sirenenheulen und unerbittliche Not-Kommandos durchs Megaphon inklusive. Als Hörbuch wäre das sicherlich besser. Zumal der fliegende Wechsel in pausenlosen zwei Stunden ermüdet.
Denn lang war das Leben von Anne Beaumanoir: Erst vor vier Wochen, während der Proben in Düsseldorf, starb in der Bretagne die 98-jährige Aktivistin, die als junge Frau in ihrer von Nazis besetzten Heimat im Zweiten Weltkrieg gegen Judenverfolgung und Nazi-Terror, später gegen die französische Kolonialherrschaft in Algerien kämpfte, im Untergrund für die algerische Freiheitsbewegung FLN. Im Frankreich der späten 1950er Jahre wurde sie als Terroristin verurteilt, floh nach Tunesien und kooperierte mit den späteren Staatslenkern Algeriens Ahmed Ben Bella und Houari Boumedienne. Später ging die Medizinerin (Neurophysiologin) und Mutter dreier Kinder in die Schweiz, bevor sie – nach mehreren Ehen – die letzten 30 Lebensjahre in der Nähe von Quimper verbrachte.
Annes Odyssee beginnt schon als Mädchen, die ihre Großmutter zur Identifikationsfigur wählt. Der Vater war Sozialist, war aber eng mit dem Pfarrer befreundet. So wächst sie als Pazifistin auf, die sich schon mit 15 Jahren um die ersten, aus Deutschland geflohenen Juden kümmert, die sie in der Besatzungszeit ab 1940 dann versteckt. Im Untergrund lernt die 18-jährige Anne ihren ersten Mann kennen, Roland, der kaum älter ist als sie.
Im Rückblick durchschreiten die Figuren die Etappen bis zur Befreiung Frankreichs durch Alliierte Streitkräfte und Charles De Gaulle, dessen Konterfei eine Fahnenstange dekoriert. Die Schauspieler (Judith Bohle, Fnot Taddese, Friederike Wagner und Sebastian Tessenow) agieren als Kommentator oder mal als Anne oder andere historisch überlieferte Figuren.
„Heldin“ Anne handelt ursprünglich aus politischen, später aus humanitären Motiven. Sie nimmt es – als Frau, Mutter und Ärztin – ernst mit Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Darum geht es besonders in ihren Jahren als Untergrundkämpferin in dem Konflikt, der in einem Krieg zwischen „Mutterland“ Frankreich und dem nach Unabhängigkeit strebenden Algerien gipfelt. Annes Verurteilung durch die französische Justiz, ihre Flucht ohne Kinder und damit der Mut zu einer Reise in eine persönlich ungewisse Zukunft machen Anne Beaumanoir zu einer Heldin.
Man bewundert sie und ihren Mut, ohne immer gut zu finden, was sie gerade macht. Sie rettet Juden und verstößt dabei gegen den Codex der Kommunistischen Partei, deren radikalen Strukturen sie sich aber unterwirft. Die FLN, für die sie arbeitet, wirft Bomben in Straßenbahnen. „Was früher schlecht war – lügen, spitzeln, stehlen – ist jetzt gut, nur weil der Zweck ein guter ist“, heißt es im Text. Guter Zweck? Das ist/war nicht immer so: Sie half zwar beim Aufbau des algerischen Gesundheitswesens. Damit trug sie dazu bei, ein religiös-diktatorisches Regime zu festigen, das es bis heute gibt.
Fazit: Der inhaltsreiche Theaterabend führt mit „Annette“ (Anne Beaumanoir) eine spannende, bewundernswerte Persönlichkeit der Geschichte vor. Das Ganze ist aber als Hörbuch oder Hörspiel besser geeignet.
29. März, 10., 24. April. 7., 18. Mai., 21. Juni.; Tel. 0211/36 99 11