Düsseldorf Düsseldorfs Kunstszene auf 400 Seiten
Helga Meister, kenntnisreichste aller Kulturjournalisten in der Landeshauptstadt, beschreibt in 70 Porträts die maßgeblichen Akteure der Düsseldorfer Kunstszene.
Düsseldorf. Da Helga Meisters neues Buch ohnehin Ärger geben wird, warum nicht gleich richtig? Also los: Einer der verlogensten Sätze, die je über Journalismus gesagt worden sind, stammt von dem früheren „Tagesthemen“-Moderator Hanns Joachim Friedrichs (1927-1995) und besagt sinngemäß, einen guten Journalisten erkenne man daran, dass er sich nicht „gemein“ mache mit einer Sache; auch nicht mit einer guten.
Davon abgesehen, dass der Satz ständig falsch zitiert wird und kaum jemand so gründlich wie sein Urheber gegen ihn verstoßen hat, gilt er ausschließlich für die Nachrichten, die handwerklich so sauber zu sein haben wie das Trinkwasser keimfrei. Auf nahezu allen anderen journalistischen Feldern dient der Satz Faulpelzen und Ahnungslosen als Ausrede für Kenntnisfreiheit, einen Mangel an Mühe und Verständnis, Respektlosigkeit und borniertes Unwissen.
Wie die Leserinnen und Leser von Helga Meisters Kunstkritiken in unserer Zeitung wissen, arbeitet und lebt Helga Meister gänzlich anders. Das ist ein Segen für das Buch, das auf jeder seiner 400 Seiten die nahezu enzyklopädische Kenntnis der Autorin über ihren Gegenstand atmet. Keine zweite tagespublizistische Autorin in Düsseldorf begleitet die Kunstszene ähnlich lange und intensiv wie Helga Meister, und niemand sonst bringt sie so verständlich zum Sprechen.
Wie stellt sie das nun in einem Buch von immerhin (nach der Lektüre wird man sagen: lediglich) 400 Seiten an? Der Kunsthistoriker Ernst Gombrich (1909-2001) begann 1950 sein Standardwerk über die „Geschichte der Kunst“ aus gutem Grund mit dem überraschenden Satz: „Genau genommen gibt es ,die Kunst‘ gar nicht. Es gibt nur Künstler.“ Entsprechend porträtiert Helga Meister in ihrer Bestandsaufnahme der neuen Düsseldorfer Kunstszene die 70 wesentlichen Akteure und Protagonisten, die diese Szene bilden.
Darunter sind verdiente Professoren, vertraute Größen und hoffnungsvolle Beginner. Sie alle eint, Meisterschüler der Kunstakademie Düsseldorf zu sein und die Akademie seit mindestens zwei Jahren verlassen zu haben.
Warum aber 70 Künstlerinnen und Künstler? Warum diese und andere nicht? Schon allein die Auswahl wird bei allen, die nicht zu den 70 Auserwählten gehören, Widerspruch und Ablehnung provozieren, denn wie stehen sie nun da? Man müsste ihnen in Wahrheit sagen: sehr gut. Denn Helga Meister gehört zu den wenigen verbliebenen Stimmen der Kunstkritik, die urteilen statt aus Konfliktscheu und Wurstigkeit einfach alles als Kunst durchgehen zu lassen. Als Leser weiß man ohnehin zu schätzen, dass Helga Meisters Urteil immer deutlich ist.
In Gombrichs Sinn macht Helga Meisters Schreiben aber bei der Kunst nicht halt, sondern zielt auf die Künstler, auf ihre Herkunft, ihre Kindheit, ihr zur Kunst kommen, denn „ein Werk erwächst niemals aus dem luftleeren Raum“. Und wenn Künstler glaubten, so Meister gewohnt offen schon im Vorwort, „der Leser könne darauf verzichten, weil das Werk ja etwas Autonomes ist, dann haben sie in diesem Buch nichts verloren“.
Es sind der Mut zum Vordringen und die Unbestechlichkeit ihrer Fragen, die den Leser aus Helga Meisters Buch echte Erkenntnisgewinne ziehen lassen. Einige der Porträts leben davon, dass Helga Meister sie als Wortlaut-Interviews in das Buch aufgenommen hat, was zu einer Leseatmosphäre beiträgt, als säße man zuhörend im Raum. Und die Gespräche führt sie häufig mit sehr direkten, sehr einfachen Fragen. „Was ist aus Deiner Farbe geworden“, liest man da plötzlich bei Jan Albers, oder noch simpler bei Elger Esser: „Wie kamst Du darauf?“
Und diese Herangehensweise der fragenden Begleitung bekommt auch den Künstlern gut, so zum Beispiel Gregor Schneider, der ja Star und Zensur-Opfer zugleich ist. Schon vor 15 Jahren auf der Biennale in Venedig gefeiert, vor zwei Jahren in Duisburg von einem kulturfernen Oberbürgermeister verboten, würden auch Kunstinteressierte den Zugang zu seinem Werk vielleicht als „sperrig“ beschreiben. Wie fast leichtfüßig ihm aber zu folgen sein könnte (und mit welchem Gewinn!), liest man bei Helga Meister auf den Seiten 298 bis 312, einem der besten unter all den guten Texten im Buch.
Darüber hinaus ist das Buch mit Absicht ein bisschen peinlich für all jene, die — nicht zuletzt aus eigenem provinziellen Interesse — mit großer Ausdauer die Kunstszene der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt kleinzuschreiben versuchen, als sei nach der Becher-Schule mit Gursky und Co. nichts Nennenswertes mehr gekommen und auch für die Zukunft nicht zu erwarten. Denn Helga Meisters Bestandsaufnahme belegt, wie grundfalsch diese Behauptung ohne Zweifel ist.
In der Korrektur solcher Falschannahmen hat Helga Meister einige Übung. Ihr erstes Buch über die Düsseldorfer Kunstszene schrieb sie bereits 1979 (und war da schon eine erfahrene Zeitungsjournalistin); es folgten viele weitere, noch viel mehr Kataloge und Ausstellungsbeiträge und wundervolle Projekte zur Förderung junger Kunst. Von all dem, was Helga Meister mit dem jungen Blick für Neues und Neustes geschrieben hat, muss sie auch nach Jahrzehnten nichts zurücknehmen. Es hat Bestand.