Festival „Theater der Welt“ Poetische Premiere von „Leben und Zeit des Michael K.“
Düsseldorf · In Düsseldorf stimmen jeden Abend ab 17.30 Uhr „Siren Songs“ an. Sie sollen Lust auf die Abend-Vorstellungen machen.
Schwerelos gleiten stille Gesänge von hohen Frauenstimmen durch die sommerliche Luft über dem Gustaf-Gründgens-Platz und über Düsseldorfs Innenstadt. Ähnlich wie Sirenen, die Gutes verheißen und nicht etwa vor einem Ausnahmezustand warnen, legen sie sich über die Köpfe der Menschen. Klänge, Bruchstücke aus sakralen und weltlichen Liedern, später auch zwitschernde Vögel – sie hüllen Passanten ein. Man blickt irritiert hoch. Woher kommen diese Geräusche? Sie kommen aus Lautsprechern, montiert auf Dächern mehrerer Hochhäuser und des Schauspielhauses – Austragungsort des Festivals „Theater der Welt“, bei dem bis zum 4. Juli 350 Künstler aus fünf Kontinenten auftreten – live oder per Livestream zugeschaltet.
Jeden Abend stimmen ab 17.30 Uhr diese „Siren Songs“ auf die Abend-Vorstellungen ein. Wenn die Technik klappt, dann strömen sie auch aus Lautsprechern eines Helikopters: Er ist der Knüller der gleichnamigen Klanginstallation der australischen Künstlergruppe Scullin/Supple/Fox.
Die 15. Welttheater-Festspiele (vor 40 Jahren gegründet und im Drei-Jahres-Turnus an verschiedenen deutschsprachigen Theatern zu Gast) wurden 2020 wegen des Lockdowns abgesagt. Doch Leiter und Kurator Stefan Schmidtke und Düsseldorfs Theaterintendant Wilfried Schulz kämpften beharrlich, fast verbissen für eine zweite Chance. Und fanden in Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen und dem Düsseldorfer OB Stephan Keller engagierte Verbündete. Auch wenn vor zwei Wochen nicht klar war, ob es klappt – nun können sie aufatmen: das verschobene 15. Festival ist das erste, das, dank geringer Inzidenzwerte, auch mit Publikum über die Bretter gehen kann. Innen im Schachbrettmuster gesetzt (maximal 380 Plätze) und außen. Ohne Negativ-Test, aber mit Maske.
Vieles ist anders als unter „normalen“ Bedingungen. Das spürte man auch bei der Eröffnung mit Grußbotschaften aus Tunesien, Kanada und Südafrika und bei der Premiere. „Leben und Zeit des Michael K.“ – nach dem gleichnamigen Roman des Südafrikaners J.M. Koetzee, Nobelpreisträger und mehrfacher Gewinner des britischen Booker Prize. Die Inszenierung von Lara Foot und der Handspring-Puppet Company war geplant als Koproduktion von Kapstadt und Düsseldorf. Doch wegen Corona bedingter Reise-Einschränkungen wurde die poetische Lebensgeschichte der Romanfigur „Michael K.“ Donnerstag im Baxter Theatre Centre in Kapstadt uraufgeführt und zeitgleich per Livestream übertragen. In Düsseldorf vor 380 Zuschauern, 9500 Kilometer entfernt vor leeren Reihen, da in Kapstadt aktuell Lockdown und Ausgangssperren gelten.
Hart ist das Schicksal des Titelhelden, des Gärtners „Michael K.“. Von Geburt an hat er eine Gesichts-Missbildung, hat kaum Freunde und kümmert sich um seine alte Mutter. Obwohl sie ihn als Kind wegen seiner ‚Hasenscharte‘ nicht sonderlich liebte. Da die Mutter krank ist, will er ihr einen letzten Wunsch erfüllen – und die in ihr Traumland bringen, einer Farm „Prince Charles“, wo sie als Kind lebte. Er packt sie auf einen Schubkarren, doch während der Reise stirbt sie. So entscheidet er sich, ihre Überreste in ihrem Paradies zu verstreuen, zieht mit der Asche im Karton dorthin und will als freier Mensch ein neues Leben als Gärtner und Bauer beginnen. Doch immer wieder tauchen Soldaten oder Menschen auf, die ihn vertreiben oder ihn in als billige Arbeitskraft einstellen wollen.
Voller Poesie, Zartheit und ohne offene politische Anspielungen inszeniert Lara Foot Michael K.s Irrfahrten ins zerstörte Paradies, das heimgesucht wird durch kriegerische Aktivitäten. Dabei spielen zwei beinah lebensgroße, handgeschnitzte Puppen die Hauptrollen (Mutter und Sohn). Erstaunlich nahe kommen die Holzfiguren, erhalten menschliche Züge – dank Kostümen, nahezu akrobatischem Führen durch drei Puppenspieler und durch geschickte Lichtregie. Außergewöhnlich auch die Art, wie reale Schauspieler des Ensembles mit den Puppen reden oder sich streiten und wie Puppenspieler unvermittelt als Darsteller in die Handlung eingreifen.
Weitere Infos zum Festival, das mit einigen Beiträgen aus Afrika aufwartet, und zu den Zoom-Portalen unter Tel. 0211-36 99 11