Fiktive Porträts in K20 Fliegen im Verbund mit der Nacht

DÜSSELDORF · Die britisch-ghanaische Malerin Lynette Yiadom-Boakye zeigt ihre fiktiven Porträts in K20.

Lynette Yiadom-Boakye: „Condor and the Mole“ aus dem Jahr 2011

Foto: K20

Zwei Mädchen in Sommerkleidchen stehen barfuß am Meer. Die Füße im Wasser, rücken sie ihre Röckchen zurecht und sprechen miteinander. Daneben: zwei Jungs. Auch sie reden vielleicht. Dann stehen vier Tänzer an einer Ballettstange, einer wärmt sich auf und zieht dabei das Bein rücklings hoch. Auf ihren Bildern setzt Lynette Yiadom-Boakye Menschen in Szene. Dabei bleiben Frauen und Männer meist unter sich. Häufig stehen bei ihr junge Menschen im Fokus, selten tauchen ältere in einem pastosen, nur schemenhaft angedeuteten Hintergrund auf oder schälen sich aus dunklen Grün-, Blau- oder Brauntönen heraus. Allen Dargestellten ist eines gemein: Sie sind schwarz. Eine Beobachtung, die erschreckend klar macht, wie wenig Raum dunkelhäutige Menschen in der westlichen Kunstgeschichte haben. Die Londonerin schöpft daraus ihre Inspiration.

Man hat das Gefühl, viele von den dargestellten Personen kommen gleich um die Ecke. Auf den ersten Blick könnten es Porträts lebender Menschen sein. Doch das täuscht. Die Alltagstypen auf allen Ölgemälden sind fiktiv, könnten fast Romanfiguren sein, die die Fantasie beflügeln. Der Betrachter schaut hin, und sofort denkt sich jeder eine Geschichte aus. Keine großen geheimnisvollen Dramen, sondern nahezu kleine, beiläufige Histörchen, die jeder kennt. Die Seiten-Ansicht einer Frau, die durch ein Fernglas schaut, pubertierende Heranwachsende. Oder Männer und Frauen ruhen auf Sofas, die auf leuchtend karierten Böden stehen. Häufig benutzt Lynette knalliges Weiß als Kontrast.  Schneeweiße T-Shirts, Hemden, Zähne. Manchmal haben ihre fiktiven Models weiße Zigaretten im Mundwinkel. Auffällig: Tiere (Katze, Fuchs oder Eule) erscheinen nur auf Männer-Porträts.

Außergewöhnlich sind die Bild-Bezeichnungen: Sie beschreiben nicht das Dargestellte, sondern sind poetische Titel, die jedem seine eigene Assoziation ermöglichen. Wie hingegossen liegt da ein junger Mann auf einer blau-rot-karierten Decke, fixiert den Betrachter. Titel: „Tie the temptress to he Trojan.“ Daneben ein selbstverliebter Poser in „Daydreaming of Devils“. Oder „Six Birds In The Bush“ nennt Lynette Yiadom-Boakye das Porträt eines Mannes mit weißem Shirt und dunklem Federhut. Scheinbar dominieren Männer ihre Kunst, zumindest in dieser Ausstellung, die jetzt in der Düsseldorfer Kunstsammlung (K20) zu sehen ist.

Die 1977 geborene Malerin absolvierte in ihrer Heimatstadt London die Royal Academy. Sie ist geprägt nicht nur von ihrem Umfeld, sondern künstlerisch von der britischen Tradition der Porträt-Malerei. „Fliegen im Verbund mit der Nacht“ nennt sie ihre erste große Ausstellung in einem deutschen Museum. Etwa 70 Ölbildern sind am Grabbeplatz noch bis Februar zu sehen, kraftvoll gemalt und altmeisterlich in zahlreichen Schichten aufgetragen.

In dieser ersten großen Retrospektive – die zuvor in der Tate Britain in London und in Stockholm lief – sind Gemälde aus den Jahren 2003 bis 2020 zu sehen. Auf dem Kunstmarkt werden ihre Bilder mittlerweile hoch gehandelt. Das beweist, dass die 45-jährige Künstlerin in den vergangenen Jahren einen kometenhaften Aufstieg erlebt hat. Im Mai erzielte ihr Werk „Diplomacy III“ bei Christie’s in New York mit 1,95 Millionen Dollar einen neuen Rekord.

„Diplomacy I“ von 2009 ist in Düsseldorf zu sehen. Eine Szene, die am Rande einer UNO-Vollversammlung in New York hätte aufgenommen werden können. Denn Lynette Yiadom-Boakye erfindet nicht nur frei, sondern lässt sich inspirieren von Fotografien, Bildern, Skizzen und Modellen. Fazit: Eine Entdeckung!

Bis 13. Februar 2022. Kunstsammlung NRW K 20, Grabbeplatz.